Landeszeitung Lüneburg: Tea Party bewies ihre Gefährlichkeit / Ökonomin Dr. Stormy-Annika Mildner: Sparprogramm zu diesem Zeitpunkt kann Konjunktur abwürgen

Nach wochenlangem Spektaktel wurde die
Zahlungsunfähigkeit der USA in letzter Minute abgewendet. Doch der
Kompromiss zwischen Demokraten und Republikanern ist nur ein
Notbehelf. Er wird das Schuldenproblem nicht lösen, möglicherweise
sogar verschlimmern, meint die Expertin für US-Wirtschaftspolitik,
Dr. Stormy-Annika Mildner von der Stiftung Wissenschaft und Politik
in Berlin.

Die Tea Party hat Obama den Verzicht auf Steuererhöhungen und
massive Einsparungen aufgenötigt. Schwächt diese Schlappe seine
Wiederwahlchancen?

Dr. Stormy-Annika Mildner: Zunächst einmal hat Obama keine
lupenreine Schlappe erlitten; auch die fiskalkonservativen
Republikaner konnten nicht alle Vorstellungen durchsetzen. Der von
ihnen geforderte Verfassungszusatz über einen ausgeglichenen Haushalt
oder auch die Bindung von Steueranhebungen an eine
Zweidrittelmehrheit im Kongress schafften es letztlich nicht in den
Kompromiss. Vor allem hat Obama erreicht, dass die Schuldengrenze so
weit angehoben wird, dass sie finanziellen Spielraum für die
Regierung bis nach den anstehenden Präsidentschaftswahlen Ende 2012
schafft. Aus dem Wahlkampf wird sie also rausgehalten. Die
Republikaner können hingegen für sich verbuchen, dass es in der
ersten Phase der Haushaltssanierung zu keiner Anhebung der Steuern
kommen wird; der Kompromiss setzt lediglich auf Ausgabenkürzungen.
Bis Ende November soll nun eine mit jeweils sechs Demokraten und
Republikanern aus Repräsentantenhaus und Senat besetzte
Haushaltskommission Vorschläge über weitere Kürzungen in Höhe von 1,5
Billionen Dollar für die zweite Phase der Haushaltssanierung
erarbeiten. Diese können Änderungen bei Pflichtausgaben für
staatliche Sozialversicherungssysteme sowie Einnahmesteigerungen
durch eine Steuerreform einschließen. Der Kongress soll bis Ende des
Jahres über diese Vorschläge entscheiden. Washington ist es also
gelungen, sich auf einen Kompromiss zu einigen und damit die drohende
Zahlungsunfähigkeit der USA abzuwenden. Die Bevölkerung ist
allerdings mit seiner Regierung insgesamt unzufrieden. Sowohl
Präsident als auch die demokratische und republikanische
Parteiführung im Kongress haben noch einmal deutlich an Zustimmung
verloren. Besonders stark zeigt sich dies bei den Republikanern. Laut
einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew sind nur 25 Prozent
der Befragten mit der Arbeit der republikanischen Parteiführung
zufrieden. Dahingegen glauben immer noch 41 Prozent der Befragten,
dass Obama gute Arbeit leistet. Allerdings hat das amerikanische Volk
wie jedes Wahlvolk ein kurzes Gedächtnis. Bleibt die Arbeitslosigkeit
hoch, wird der Schuldenstreit 2012 vergessen sein, und Obama dürfte
es nicht leicht haben.

Die eigene Partei folgte dem Präsidenten im Repräsentantenhaus nur
zur Hälfte. Hat Obama seine Strahlkraft auf die eigenen Anhänger
eingebüßt?

Dr. Mildner: Tatsächlich ist die Parteidisziplin der Demokraten
geringer als die der Republikaner. Selbst von den Tea-Party-Anhängern
schwenkten letztlich einige auf die Parteilinie ein. Maßgeblicher
Antrieb der Abweichler der Demokraten ist die Angst, nicht
wiedergewählt zu werden. Sie befürchten, dass die Ausgabenkürzungen
zulasten der sozial Schwachen gehen, ihrer Klientel.

Der US-Schuldenberg wird vorerst weiter wachsen. Ist das
Grundproblem nur aufgeschoben statt gelöst?

Dr. Mildner: In der Tat reicht die vorgesehene Summe der Kürzungen
nicht aus, um weitere Schuldenaufnahmen zu verhindern. Und dies
belastet die US-Wirtschaft. Denn der Staat nimmt Kredite auf, treibt
so die Zinsen in die Höhe und erschwert damit der Privatwirtschaft,
Kredite aufzunehmen, um zu investieren. So verdrängt der Staat mit
seinen eigenen Investitionen die privaten vom Markt. Da aber
staatliche Inves“titionen meistens nicht so produktiv sind wie
private, schadet das dem Wirtschaftswachstum. Zwar sind sich alle
einig, dass der US-Haushalt saniert werden muss. Worüber sich die
Ökonomen allerdings streiten, ist der richtige Zeitpunkt und wo genau
eingespart werden soll. So kritisiert beispielsweise Paul Klugman,
ausgerechnet jetzt mit einem radikalen Sparprogramm loszulegen. Eine
gesunde Fiskalpolitik verhält sich antizyklisch, in wirtschaftlich
schwächeren Zeiten muss mehr ausgegeben, in guten Zeiten mehr gespart
werden. Was jetzt angesichts eines Wachstums von 0,4 Prozent im
ersten Quartal 2011 und einer Arbeitslosigkeit von über neun Prozent
gemacht wird, ist pro-zyklisch und riskiert, das Wachstum weiter zu
dämpfen. Das Fatale daran wäre, dass dies auch das Steueraufkommen
verringern und somit das Sparprogramm konterkarieren würde.

Bleiben die Ratingagenturen trotz dieser Aussichten dabei,
Washington als Top-Schuldner einzustufen?

Dr. Mildner: Die Möglichkeit der Herabstufung ist noch nicht
gebannt. Die Reaktionen der Ratingagenturen hängen stark davon ab,
welche Vorschläge die Haushaltskommission entwickeln wird.

Ist die Rolle des Dollar als Leitwährung gefährdet?

Dr. Mildner: Wir haben bereits in den vergangenen Jahren eine
schleichende Diversifizierung von Währungsreserven beobachtet. So hat
Peking vorsichtig umgeschichtet, um sich weniger abhängig von der
US-amerikanischen Politik zu machen, aber gleichzeitig keine Panik
auf den Märkten auszulösen und damit die eigenen Dollarreserven zu
entwerten. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Die Rolle des Dollars
ist dennoch nicht gefährdet, da es schlichtweg an guten Alternativen
mangelt. Denn der Euro-Raum leidet unter mindestens ebenso großen
Verschuldungs- und Vertrauensproblemen wie die USA. Zu einer
schnellen Flucht aus dem Dollar wird es deshalb nicht kommen.

Werden die angekündigten Einschnitte in staatliche Leistungen das
soziale Gefälle vergrößern?

Dr. Mildner: Wenn bei der Gesundheitsvorsorge für ältere und
bedürftige Menschen oder bei den Arbeitslosenhilfen gespart wird,
trifft es tatsächlich die Schwächsten der Gesellschaft.

Trotz drohender Staatspleite prallten die Anschauungen
unversöhnlich aufeinander. Verliert Washington die Fähigkeit zum
Kompromiss?

Dr. Mildner: Viele Beobachter sind der Meinung, dass dies der
schwierigste Kongress in der Geschichte der USA ist. Nicht nur, dass
die Regierung gespalten ist zwischen einem demokratischen Präsidenten
und Senat einerseits und einem republikanisch dominierten
Repräsentantenhaus andererseits. Erschwert wird die Kompromissbildung
dadurch, dass die Republikaner in sich gespaltet sind. Die radikal
fiskalkonservative Tea Party-Fraktion lässt sich von ihrer
Parteispitze kaum einfangen.

Die Tea Party ist im Zentrum der Macht angekommen. Wie gefährlich
ist ihr Ideal, die USA wie eine Westernstadt zu regieren, für die
Weltmachtrolle der USA?

Dr. Mildner: Ihre Gefährlichkeit hat die Tea Party unter Beweis
gestellt, indem sie den US-Bankrott in Kauf genommen hätte, um
ideologische Standhaftigkeit zu demonstrieren. Die Frage ist
allerdings, wie es mit der Tea Party weitergeht. Denn auch sie hat
bei vielen republikanischen Wählern eine Glaubwürdigkeitsschlappe
hinnehmen müssen. Das bleibt in den kommenden Wahlen nicht
unbestraft.

Der US-Staat soll auf ein Niveau schrumpfen, das er zuletzt unter
Eisenhower hatte. Wird diese Schrumpf-Version der Rolle der USA
gerecht?

Dr. Mildner: Zu einem derart massiven Schrumpfungsprozess wird es
nicht kommen. Man kann die Uhr nicht zurückdrehen, dafür hat der
Staat mittlerweile zu viele Aufgaben übernommen. Auch die
Republikaner wollen eine politisch-wirtschaftliche Führungsrolle der
USA weltweit. Das verträgt sich nicht mit einer Staatsquote aus den
50er-Jahren.

Erstmals seit 20 Jahren soll auch das Pentagon bluten. Ist die
Zeit kostspieliger Kriege für Washington vorbei?

Dr. Mildner: Auch der Verteidigungsetat ist vor Kürzungen nicht
verschont. Wie hoch diese ausfallen werden, hängt aber letztlich von
den Vorschlägen der Haushaltskommission ab. Zudem könnten die
Kongressmitglieder mit einem Haushaltstrick hohe Kürzungen
verhindern, nämlich indem sie den anstehenden Abzug aus dem Irak und
auch den aus Afghanistan in der anzustrebenden Einsparsumme
anrechnen.

Beschleunigen Verschuldung und Schrumpfkur den relativen
Niedergang der USA?

Dr. Mildner: Der Niedergang der USA wurde schon so oft beschworen,
etwa Ende der achtziger Jahre, dass ich vorsichtig bin mit diesem
Szenario. Denn trotz Pessimismus folgte in den 90er-Jahren ein
unglaubliches Wirtschaftswachstum der US-Wirtschaft von
durchschnittlich vier Prozent.

Relativer Abstieg meint ja auch einen Machtverlust durch den
Aufstieg anderer Nationen wie Indien und China…

Dr. Mildner: Laut dem Bericht zur internationalen
Wettbewerbsfähigkeit des Davoser Weltwirtschaftsforums sind die USA
zumindest in einem Bereich noch immer absolut top: Und das ist
Innovationsfähigkeit und Entwicklung neuer Technologien. Wenn es
ihnen gelingt, diese Stärke auszuspielen und Marktanteile
zurückzugewinnen, wenn sie wieder höhere Wachstumsraten erzielen und
wenn sie ihr Schuldenproblem in den Griff bekommen — dann werden sie
sicherlich nicht so schnell überholt werden, wie es viele derzeit
prognostizieren.

Das Interview führte

Joachim Zießler

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