Der Job des Politikers ist öffentlich, das liegt
in der Natur der Sache. Aber auch prominente Amts- und Mandatsträger
haben ein Recht auf Privatsphäre. Ob Politpromis familiäre Probleme
haben, ihrem Ehepartner treu sind, Frauen oder Männer lieben, an
einer schweren Krankheit leiden – das erfährt das interessierte
Publikum in aller Regel nur dann, wenn der Betroffene selbst es so
will. Es gibt aber Ausnahmen. Denn mitunter wird das Private
politisch. Ein bekanntes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit war
das uneheliche Kind eines bedeutenden CSU-Mannes über das schon lange
geschrieben wurde, bevor sich der Vater öffentlich dazu bekannte.
Begründet wurde dies mit der offenkundigen Divergenz zwischen
christsozialem Familienbild und gelebter Realität: Wenn Anspruch und
Wirklichkeit, wenn Schein und Sein so weit auseinander liegen, dann
gibt es ein öffentliches Interesse, das die Berichterstattung
rechtfertigt. Man kann darüber geteilter Meinung sein, ebenso wie
über die beiden Fälle, die jetzt die Gemüter erhitzen. Kurz
nacheinander haben zwei Journalistinnen – eine von „Spiegel online“,
eine vom „Stern“ – ihre Erfahrungen mit Sexismus in der noch immer
weitgehend männerdominierten Welt der Politik aufgeschrieben. Die
eine Kollegin schildert, wie sie von Mitgliedern der Piratenpartei
als Prostituierte verleumdet worden sei. Die andere berichtet über
angebliche, ein Jahr zurückliegende Anzüglichkeiten des
FDP-Fraktionschefs Rainer Brüderle zu nächtlicher Stunde an einer
Hotelbar. Darf man das? Noch dazu aus der sehr emotionalen und im
politischen Journalismus hierzulande eher unüblichen Ich-Perspektive?
Ein schmaler Grat. Denn was als Akt der Emanzipation daherkommt, kann
leicht als Kampfmittel zur moralischen Vernichtung des politischen
Gegners missbraucht werden. Und doch: Einmal vorausgesetzt, dass sich
beide Kolleginnen an ihre erste professionelle Pflicht – das
Wahrheitsgebot – gehalten haben, erscheint der Tabubruch vertretbar.
Denn er lenkt den Blick darauf, dass die viel beschworene
Gleichberechtigung von Mann und Frau – Angela Merkel hin, Ursula von
der Leyen her – hierzulande längst nicht Allgemeingut geworden ist.
Die Dinosaurier, sie sind noch mitten unter uns. Auch deshalb ist die
Häme gleich doppelt groß, wenn prominente Frauen scheitern – Heide
Simonis und Andrea Ypsilanti lassen grüßen. Und deshalb kann es auch
in der Lausitz einer jungen Kollegin passieren, dass sie ein
Bürgermeister auffordert, doch einfach weiterzumachen, wenn sie sich
wegen der warmen Temperaturen ihres Sweatshirts entledigt. Von
männlichen Reportern sind ähnliche Geschichten übrigens nicht
überliefert. Wohlgemerkt: Es geht nicht um den netten Flirt, das
freundliche oder auch das einzelne unbedacht geäußerte Wort. Aber
politische Silberrücken können sich jetzt eben nicht mehr auf eine
stillschweigende und augenzwinkernde Übereinkunft verlassen, dass
schon keiner publizieren wird, wenn sie Journalistinnen mit
primitiven Anzüglichkeiten über die Größe ihres Dekolletés in
Verlegenheit bringen. Und das ist eine gute Sache.
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