Der normale demokratische Reflex auf Mohammed
Mursis bisherige Politik wäre ein Stopp aller Gelder und aller
Kooperation. Bis der ägyptische Präsident und seine fanatischen
Muslimbrüder Demokratie und Toleranz in ihrem Land einkehren lassen.
Oder mindestens, bis sie aufhören, Demonstranten mit dem
Ausnahmezustand zu überziehen. Aber die Welt kann sich diesen Reflex
nicht leisten. Denn Ägypten befindet sich noch mitten in einem
historischen Ringen um seine Zukunft, das nicht entschieden ist.
Außenminister Guido Westerwelle hat ein kluges Wort gefunden, als er
von der erforderlichen „strategischen Geduld“ sprach. Ägypten ist
nicht ein, sondern das Schlüsselland für die Zukunft Nordafrikas und
auch für das Verhältnis der arabischen Welt zu Israel, mit dem es
immer noch ein Friedensvertrag verbindet – zwei auch für Europa
zentrale Fragen. Mohammed Mursi hat zwar mit der von ihm
durchgepeitschten Verfassung und mit seinen Dekreten gegen die
unabhängige Justiz versucht, putschartig die ganze Macht zu
ergreifen. Aber er hat merken müssen, dass das nicht geht. Weil
Ägypten (noch) eine Vielfalt des Denkens und sogar der Religionen
kennt. Mursi ist (noch) in der Situation, dass er Kompromisse machen
muss. Vielleicht gab er sich deshalb gestern in Berlin als moderater
Islamist. Das ist eine Chance. Nun muss man ihn beim Wort nehmen. Die
gestern von der Bundesregierung vertretene Linie, ihn als gewählten
Vertreter seines Volks anzuerkennen, aber den demokratischen
Erwartungsdruck auf ihn aufrecht zu erhalten, ist die richtige
Strategie. Jedenfalls bis auf Weiteres.
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