Ein Gefühl macht sich breit in Europa und nicht
nur dort. Es ist das Gefühl der Unsicherheit. Angesichts des
weltweiten Finanz-Wahnsinns fragen sich selbst unverdächtige
Zeitgenossen wie der frühere Thatcher-Berater Charles Moore und der
Herausgeber der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank
Schirrmacher, öffentlich: Läuft hier nicht grundlegend etwas schief?
Ist die Vorstellung, dass das freie Spiel der Märkte unter dem Strich
immer zu einem höheren Nutzen für die Allgemeinheit führt, nicht ein
für allemal durch die Wirklichkeit widerlegt? Hat nicht am Ende gar
die linke Gesellschaftskritik schon immer richtig gelegen, wenn sie –
verkürzt – den Standpunkt vertritt, dass das kapitalistische System
im weltweiten Maßstab nur den Reichen nutzt? Natürlich ist die
überwältigende Mehrheit des bürgerlichen Lagers weit davon entfernt,
jene letzte provokative Frage mit einem uneingeschränkten Ja zu
beantworten. Aber auch ihr ist nicht verborgen geblieben, dass das
Ergebnis der real existierenden Globalisierung an vielen Stellen mit
ihren Überzeugungen nicht in Einklang zu bringen ist. Dass Bürger für
ihre Banken haften, dass Ratingagenturen über die Zukunft ganzer
Völker entscheiden, ist nicht Teil des konservativen Wertekanons. In
solchen Zeiten wäre Führung gefragt. Stattdessen schweigt der
Bundespräsident erst über Monate, um sich dann mit einem ratlosen
Debattenbeitrag zu Wort zu melden, der das Publikum eher peinlich
berührt zurücklässt, anstatt ihm Halt zu geben. Und die bürgerliche
Bundesregierung – da hat Altkanzler Helmut Kohl mit seiner Kritik
recht – erweckt den Eindruck, Politik ohne Kompass zu betreiben. Da
kippt ein moralisch zweifelhafter, aber charismatischer
(Ex-)Verteidigungsminister aus einer Laune heraus die Wehrpflicht. Da
wirft der irrlichternde Außenamtschef mit atemberaubender
Beiläufigkeit die Westbindung über Bord. Und die Kanzlerin hat bis
heute nicht vermitteln können oder wollen, dass ihr die Rettung
Europas jeden Preis (oder auch nur ein paar unangenehme Schlagzeilen
in der Boulevardpresse) wert wäre. Freilich: Auch von der laut
US-Magazin „Forbes“ mächtigsten Frau des Erdballs wird nicht
erwartet, dass sie mit einem Fingerschnippen all die komplexen
Probleme löst, in die die Welt sich hineinmanövriert hat. Bislang
aber hat die von Rettungsversuch zu Rettungsversuch eilende Kanzlerin
nicht ansatzweise zu erkennen gegeben, welchen Plan sie für dieses
Land, für diesen Kontinent hat. Es könnte sehr bald sehr eng für
Angela Merkel werden.
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