Mindener Tageblatt: Kommentar zu Dioxin-Belastung von Lebensmitteln /Überall Schema F

Die politische Folklore verlangt bei Skandalen
aller Art ein rituelles Sühneopfer. Meist weniger der Sache wegen als
des Prinzips. Und natürlich, um dem politischen Gegner eins
auszuwischen. Folglich konzentriert die Opposition sich auf den
Abschuss einer Ministerin statt auf weiterführenden
Verbraucherschutz. Ob Frau Aigner im jüngsten Krisenmanagement ein
überzeugendes Bild abgegeben hat, mag ebenso dahinstehen wie die
Leistungsbilanz der zuständigen Länderminister – Kritikwürdiges gab
es da auf allen Seiten. Bemerkenswert ist jedoch schon, dass
ausgerechnet die Fundamentalkritiker der Organisation Foodwatch um
Ex-Greenpeace-Frontmann Thilo Bode nichts von einem Aigner-Rücktritt
halten, sondern stattdessen grundlegende Reformen anmahnen. Ihr
Vorschlag, den Verbraucherschutz vom „Klientelministerium“ für
Ernährungswirtschaft und Bauern zu trennen, ist jedenfalls
zukunftsweisender als bloße Schema-F-Skandalbewältigung nach dem
Muster „Minister zurückgetreten, alles gut“ – und nach ein paar
gesetzgeberischen Verschärfungen hier, ein paar markigen
Absichtserklärungen da geht alles weiter wie bisher. Klar ist: Noch
so viel Bio-Träumerei wird das Agrarrad nicht zurückdrehen. Die
industrialisierte Nahrungsmittelproduktion ist nicht mehr aus der
Welt zu schaffen. Diese Gewissheit muss ihre Konsequenz in
ausreichend staatlicher Vorgabe-, Kontroll- und Sanktionsfähigkeit
gegenüber den gesamten Kette der Lebensmittelwirtschaft finden. Hier
gibt es Defizite, teils erhebliche. Der gestern vorgelegte
Maßnahmenplan bietet da ebenfalls kaum mehr als das in solchen Fällen
übliche Schema F. Doch vor Illusionen sei gewarnt: Vor dem nächsten
Lebensmittelskandal wird die Politik die Bürger vermutlich mit noch
so viel Einfallsreichtum nicht bewahren können. Kriminelle Energie
findet auch im dicksten Drahtverhau Schlupflöcher.

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