Mittelbayerische Zeitung: Bildungsrepublik? Die OECD stellt Deutschland zwar etwas bessere Noten aus, Grund zum Jubeln ist das aber noch nicht. Leitartikel von Louisa Knobloch

Der jährliche Bildungsbericht der OECD ist für
deutsche Politiker normalerweise kein Grund zum Jubeln. Umso
erstaunlicher liest sich die Pressemitteilung des
Bundesbildungsministeriums zu dem gestern veröffentlichten Dokument:
Der Bildungsbericht sei ein Beleg für die Leistungsfähigkeit des
deutschen Bildungswesens, heißt es da. „Deutschland ist auf einem
guten Weg zur Bildungsrepublik.“ Tatsächlich bescheinigt die OECD
Deutschland diesmal Fortschritt in einigen Bereichen. Nicht mehr als
akut versetzungsgefährdet eingestuft zu werden, heißt aber noch lange
nicht, dass es hierzulande keine Probleme mehr geben würde. Positiv
bewerteten die Bildungsexperten, dass in Deutschland 96 Prozent der
Vierjährigen eine Kita besuchten – mehr als im OECD-Schnitt. Das ist
wichtig, weil dort früh die sprachlichen Fertigkeiten der Kinder
gefördert werden – und von diesen hängt gerade bei Kindern mit
Migrationshintergrund der spätere schulische Erfolg ab. Das geplante
Betreuungsgeld ist vor diesem Hintergrund kontraproduktiv – gerade
für Familien aus bildungsfernen Schichten könnte es ein Anreiz sein,
ihre Kinder nicht in eine Kita zu schicken und so auf die Chancen
frühkindlicher Bildung zu verzichten. Für Wirbel sorgten die
Ergebnisse zur Bildungsmobilität. Demnach erreicht hierzulande nur
jeder Fünfte einen höheren Abschluss als seine Eltern, 22 Prozent
bleiben dagegen dahinter zurück. Der OECD-Schnitt liegt bei 37
Prozent zu 13 Prozent. Eine der Ursachen für diese Zahlen ist, dass
Berufe wie beispielsweise Krankenpfleger in vielen Ländern bereits
akademisiert sind – in Deutschland aber Ausbildungsberufe. Politiker
beklagen nun, dass für die OECD ein Akademikerkind, das eine Lehre
macht, als Bildungsabsteiger gilt. Das mag berechtigte Kritik sein –
die duale Ausbildung gilt als Erfolgsmodell, während die OECD die
Zahl der Abiturienten und Hochschulabsolventen für das Maß aller
Dinge hält. Zwar konnte Deutschland auch hier Erfolge verbuchen,
bleibt aber hinter dem OECD-Schnitt zurück. Mittlerweile erwirbt fast
die Hälfte eines Jahrgangs eine Studienberechtigung, 517 000
Studienanfänger strömten 2011 an die Hochschulen. Die Quote der
Hochschulabsolventen stieg ebenfalls stetig, zuletzt auf 30 Prozent
im Jahr 2010. Ein gravierendes Problem bleibt aber bestehen: Die
Chance junger Menschen, ein Studium aufzunehmen, hängt immer noch
stark vom Bildungshintergrund ihrer Eltern ab. Die Ursachen sind
vielfältig und liegen teils in den Familien – Eltern empfehlen ihren
Kindern oft den eigenen Ausbildungsweg -, teils am System. Ein
Studium kostet Geld, Studiengebühren bilden eine zusätzliche Hürde.
In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels sollte Deutschland alles
daran setzen, diesen jungen Menschen den Sprung an die Hochschulen zu
ermöglichen. Ein höheres Bildungsniveau verhilft nicht nur zu einem
höheren Einkommen und schützt besser vor Arbeitslosigkeit, wie die
OECD-Studie aufzeigt, auch der Staat profitiert: Höhere Einkommen
bedeuten höhere Steuern und Sozialbeiträge, durch das geringere
Risiko für eine Arbeitslosigkeit muss der Staat weniger
Transferleistungen aufbringen. Über all die Statistiken des
OECD-Berichts sollte man aber nicht vergessen, dass Bildung nicht nur
Geld, sondern auch Zeit kostet. Daran wurde in den vergangenen Jahren
gespart – das G8 sollte die Schüler schneller an die Hochschulen
bringen, das Bachelor-Studium die Absolventen schneller auf den
Arbeitsmarkt. Nun scheint langsam ein Umdenken in der Politik
einzusetzen, wie Bayerns Wissenschaftsminister Heubisch mit seinem
Vorschlag für ein Semester Generale zeigt. Das ist ein gutes Zeichen.

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