Mittelbayerische Zeitung: Der Panik-Minister

Von Hanna Vauchelle

Rumänien und Bulgarien müssen draußenbleiben. Der Beitritt beider
EU-Staaten zum visumfreien Schengenraum ist auf unbestimmte Zeit
verschoben worden. Auf die Schulter klopfen kann sich jetzt
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Seine Drohung, bei der
Abstimmung ein Veto gegen die Aufnahme beider Länder einzulegen, hat
das Votum gänzlich von der Brüsseler Agenda gefegt. Deutschland muss
aufpassen, dass es nicht noch einmal in die Populistenfalle tappt.
Man muss die Dinge getrennt betrachten: Armutsmigration ist sicher
ein Problem. Den Staaten den Schengenbeitritt zu verweigern, wird es
aber nicht lösen. Eigentlich hätten sie schon 2011 beitreten sollen.
Doch Einwände verschiedener Länder haben die Aufnahme Sofias und
Bukarests in den Schengenraum immer wieder verzögert. Dabei ist von
technischer Seite alles geklärt. Ob unbemannte Grenzanlagen oder die
Technik für die Fahndungsdatei Schengener Informationssystem (SIS
II): Beide Länder haben aufgerüstet. Deshalb haben auch die
EU-Kommission sowie das Europaparlament vor einiger Zeit schon grünes
Licht für den Beitritt gegeben. Doch mittlerweile ist aus der
technischen Frage eine politische Angelegenheit geworden. Nur wenn
die EU-Kommission in ihren Fortschrittsberichten zur
Rechtsstaatlichkeit in beiden Ländern zu einem positiven Urteil
komme, werde man dem Beitritt zustimmen, tönten die Niederlanden. Und
plötzlich hatten auch Frankreich und Deutschland Bedenken. Diese sind
sicherlich nicht unbegründet. Regelmäßig mahnt die EU-Kommission
Korruption und mangelnde Justizunabhängigkeit in den Ländern an. So
kassierte Rumänien Ende Januar wieder einen Rüffel aus Brüssel. Die
Politik müsse aufhören, Entscheidungen der Justiz zu diskreditieren,
hieß es in dem Bericht. Bei der Verhinderung und Sanktionierung von
Korruption attestierte Brüssel „sehr geringe Fortschritte“. Auch wenn
sich die Lage etwas besser als in Rumänien gestaltet, steht Bulgarien
seit dem EU-Beitritt 2007 ebenfalls regelmäßig am Pranger. Ob der
Kampf gegen die organisierte Kriminalität, die Korruptionsbekämpfung
oder die Justizreform: Brüssel vermisste zuletzt „überzeugende
Ergebnisse“. Insofern sind die Bedenken mancher Mitgliedsstaaten über
die Beitrittsreife Sofias und Bukarests verständlich. Es ist also
Deutschlands gutes Recht, bei einer Abstimmung mit Nein zu votieren.
Und dennoch bleibt vom Brüsseler Auftritt des Bundesinnenministers
ein fahler Nachgeschmack. Denn Friedrichs Blockade ist nicht nur eine
glatte Kehrtwende der bisherigen Position: Bis vor kurzem
unterstützte Deutschland im Rat noch den von Polen vorgeschlagenen
Zwei-Stufen-Plan zur Aufnahme der Länder. Der Bundesinnenminister
tappte bei seiner Argumentation auch in die Populistenfalle. Denn er
unterstellt, dass ein Veto gegen den Schengenbeitritt Rumäniens und
Bulgariens Menschen aus diesen Ländern davon abhalten könnte nach
Deutschland zu kommen. Das ist Quatsch. Schließlich ist die Einreise
denkbar einfach: Man zeigt einfach seinen Ausweis vor. Der
Innenminister hat in Brüssel gezündelt. Vor dem Sozialmissbrauch
durch Zuwanderer zu warnen, schürt gefährliche Ressentiments.
Schließlich fallen ab 2014 die letzten Grenzen auf dem deutschen
Arbeitsmarkt – daran wird auch die Schengenblockade nichts ändern.
Dann dürfen Rumänen und Bulgaren hierzulande Jobs annehmen. Mit
Verwerfungen am Arbeitsmarkt ist Experten zufolge nicht zu rechnen.
Die Panikmache aus dem Ministerium ist deshalb wenig hilfreich. Mit
dem Schengenbeitritt hat dies nichts zu tun. Beide Länder brauchen
eine ehrliche Beitrittsperspektive.

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