Mittelbayerische Zeitung: Gefühlte Unsicherheit

Der Teich war im Durchschnitt nur einen Meter
tief, dennoch ist die Kuh ersoffen. Ein bisschen ist es mit der
gestern vorgelegten Polizeilichen Kriminalstatistik so wie mit dem
armen Rindvieh. Die Zahlen der Statistik geben immer nur allgemeine
Trends wieder, zeigen das Große und Ganze. Doch das subjektive
Sicherheits- oder eben Unsicherheitsempfinden des einzelnen Bürgers
richtet sich nicht nach abstrakten Statistiken, sondern nach dem
persönlichen Erleben und nach dem, was in der Gesellschaft, in der
öffentlichen und veröffentlichten Meinung diskutiert und gezeigt
wird. Die jüngsten Bilder von brutalen Übergriffen auf Berliner
Bahnhöfen lösen Ängste in der ganzen Republik aus. Die Innen- und
Sicherheitspolitik von Bund und Ländern muss auch diese subjektiven
Ängste einkalkulieren, auch wenn es objektiv weniger Grund dafür
geben mag. Dies sind keine Hirngespinste. Die Furcht, Opfer von
Straftaten zu werden, beeinträchtigt das Wohlbefinden, schränkt
Lebensfreude und Freiheit ein. Vor allem stößt vielen Menschen bitter
auf, dass in den vergangenen Jahren Bund und Länder an fühlbaren
Sicherheitsmaßnahmen kräftig den Rotstift angesetzt haben. Beamte in
Uniform sind auf den Straßen rar geworden. Polizeiwachen werden
geschlossen. Bahnhöfe und Plätze sind, trotz Videokameras, Orte, an
denen es keine staatliche Gewalt zu geben scheint. Zumindest nachts
nicht. Über die gefühlte Unsicherheit gibt die Polizei-Statistik
naturgemäß keine Auskunft. Aber sie ist dennoch vorhanden. Auch wenn
Deutschland immer noch eines der sichersten Länder der Welt ist, auch
wenn Gewalt, schwere Delikte wie Mord, Totschlag oder Raub
zurückgingen, auch wenn die Aufklärungsraten erfreulicherweise
zunahmen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, der nach einer
unbedachten Äußerung zum Islam anfangs auf Krawall gebürstet schien,
tut gut daran, das Sicherheitsempfinden der Menschen ernst zu nehmen.
Überhaupt scheint er seinen Job als oberster Sicherheitsmann der
Republik inzwischen pragmatisch, ruhig und entschlossen ausüben zu
wollen. Gut so.

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