Mittelbayerische Zeitung: Knallbonbon in Düsseldorf Das Ende der rot-grünen Minderheitsregierung in NRW beschert einen Testlauf für die Bundestagswahl. Leitartikel von Reinhard Zweigler

Drei Wochen nach den tollen Tagen im
rheinischen Karneval ließ die nordrhein-westfälische Landespolitik
gestern ein besonderes Knallbonbon platzen: Das rot-grüne
Minderheitsexperiment ist in sich zusammengekracht. In einer Mischung
aus trotziger Selbstbehauptung und überheblicher
Realitätsverweigerung drängen die politischen Parteien nach nicht
einmal zwei Jahren nun erneut zur Wahlurne. Weil die Politik im
bevölkerungsreichsten Bundesland nicht weiter weiß, muss erneut der
Souverän entscheiden. Doch was ist, wenn der Wähler wiederum kein
klares Votum abgeben sollte? So richtig glücklich schien gestern in
Düsseldorf jedenfalls niemand mit der neuen Situation zu sein. Alle
versuchen irgendwie, das Beste daraus zu machen. Die einen, SPD und
CDU, peilen unverdrossen den Posten des Ministerpräsidenten an, mit
wem auch immer. Die anderen, Grüne, träumen davon, wieder zum
Mitregieren gebraucht zu werden. Linke und FDP schließlich bangen ums
nackte politische Überleben. Das überraschende Ende der rot-grünen
Minderheitsregierung beschert zudem einen Testlauf für die
Bundestagswahl 2013. Dabei hat die Noch-Ministerpräsidentin Hannelore
Kraft den wankenden rot-grünen Kahn eigentlich erstaunlich solide an
vielen gefährlichen Untiefen vorbeimanövriert. Die SPD-Frau, die
manche sogar für die mögliche Kanzlerkandidatin halten, hat einen
Schulkonsens hinbekommen, zu dem auch die Opposition nicht Nein sagen
konnte. Und sie hat die Finanzen der Kommunen stabilisiert. Freilich
setzten ihr die Verfassungsrichter des Landes auch ein Stoppzeichen
gegen eine allzu hohe Neuverschuldung. Kraft gab die Pragmatikerin
und versuchte eine Mischung aus gütiger Landesmutter, getreu dem
Vorbild von Landesvater Johannes Rau, und schlauer Macherin, ähnlich
ihrem Vorvorgänger Peer Steinbrück. Letztlich ist die SPD-Hoffnung an
der Zerbrechlichkeit des rot-grün-roten Lagers gescheitert. Die
ungeliebte Linke, die immer unsichtbar mit am Regierungstisch saß,
konnte oder wollte Kraft am Ende nicht mehr wirklich einbinden. Der
hilflose Versuch, die Freidemokraten zur Zustimmung zum rot-grünen
Haushalt zu bewegen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die
Landes-FDP unter ihrem Vorsitzenden und Bundesgesundheitsminister
Daniel Bahr bekam auf diese Weise nur die Wahl zwischen Pest und
Cholera serviert. Hätte die NRW-FDP die Hand für den Kraft-Haushalt
gehoben, hätte sie sich unglaubwürdig gemacht, hätte man ihr
vorgeworfen, sie klebe nur an den weichen Abgeordnetensesseln. Dass
sich die Freidemokraten, die einst unter Jürgen Möllemann im Land
zweistellige Ergebnisse einfuhren, nun mutig für Neuwahlen
entschieden, bringt sie indes noch näher an den politischen Abgrund.
Aus Mut wird schnell Übermut. Der Knall aus Düsseldorf hat in Berlin
indes ein mannigfaches politisches Echo ausgelöst. Noch bevor der
NRW-Landtag überhaupt über vorgezogene Neuwahlen entscheiden konnte,
haben die Kanzlerin und ihr Herold, CDU-General Hermann Gröhe, die
Signale für einen Lagerwahlkampf gestellt: Schwarz – künftig wohl
ohne Gelb – gegen Rot-Grün. Die SPD wiederum setzt – eher
pflichtgemäß, denn aus Überzeugung – auf den grünen Juniorpartner.
Dabei werden schwarz-grüne Annäherungsübungen geradezu eifersüchtig
beobachtet. In Düsseldorf wie in Berlin. FDP, Linke und Piraten wären
schon froh, wenn sie überhaupt ins Parlament kämen. Hier wie da.

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