Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR NRW-Landtag beschließt seine Auflösung Klarheit – so oder so THOMAS SEIM

Das Ende ist schneller da, als man erwarten
durfte. In 60 Tagen wird es eine neue Machtkonstellation in NRW
geben. Sie wird wohl – wenn nicht alle Umfragen und politischen Sinne
täuschen – stabiler sein können als die jetzige rot-grüne Minderheit.
Zunächst nimmt man allerdings kopfschüttelnd zur Kenntnis, dass unser
politisches Personal so dilettiert. Es ist mindestens unglücklich,
dass das Parlament erst durch Juristen auf die Lage aufmerksam
geworden ist. Dass es doch so war, wirft die Frage auf, ob dieser
Landtag insgesamt so aufgestellt ist, dass er das Land angemessen
organisieren kann. Das neue Parlament repräsentiert hoffentlich mehr
Qualität. Doch zurück zur Lage: Bis in den Anfang dieser Woche ging
Rot-Grün davon aus, dass der Haushalt erfolgreich verabschiedet
werden wird. Deren Überraschung darüber, dass dies nun nicht so ist,
wird gemildert dadurch, dass die Entwicklung dieser Koalition in die
Hände spielt: Die CDU ist nach Einschätzung ihres eigenen
Generalsekretärs derzeit nicht kampagnenfähig und muss aus der
Opposition Wahlkampf führen. Bei ihrem Spitzenkandidaten Norbert
Röttgen weiß man nicht genau, ob er seine politische Zukunft nicht
doch eher als Nachfolger von Angela Merkel sehen möchte. Das alles
macht den Wahlkampf trotz aller lauten und siegsgewissen Töne auch
Merkels zu einem unsicheren Spiel für die Union. Scheitert sie mit
ihrer wahlkämpfenden Kanzlerin im Saarland nächste Woche und dann
Anfang Mai in Schleswig-Holstein und NRW an ihrem Anspruch, die
Regierung zu führen, dann steht Merkel und mit ihr die schwarz-gelbe
Bundesregierung nur noch auf äußerst wackligem Grund. Wie die FDP aus
ihrem Umfragetief herauskommen will, ist fraglich. Natürlich ist
nichts unmöglich, aber die Erfahrungen dieser Republik sind nicht so,
dass man in 60 Tagen den Stimmenanteil verdoppeln könnte. Auch für
die Linkspartei ist die Rückkehr in den Landtag fraglich, selbst wenn
sie bessere Umfragewerte als die FDP hat. Der Linken ist es nicht
gelungen darzulegen, wie sie mit ideologischen Festlegungen
konstruktiven Gestaltungseinfluss auf die Politik nehmen könnte. Die
Piraten schließlich mögen den Einzug in ein weiteres Parlament
vielleicht schaffen, wer sie aber außer Protestwählern wirklich und
warum wählen sollte – das wird auch bei längerem und konzentrierten
Zuhören nicht klar. Das alles deutet auf eine Mehrheit für SPD und
Grüne hin. Sicher indes ist auch sie nicht. Der Schulkrieg mit der
Opposition ist zwar befriedet, der Streit um die Zukunft der
Atomkraft ebenfalls. Man kann sogar sagen, dass sich ein rot-grünes
Milieu für Wirtschafts- und Wachstumspolitik bemerkbar gemacht hat.
Und sicher lässt sich mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und
Schulministerin Sylvia Löhrmann punkten. Doch zu einem klaren Konzept
mit einer tragenden Idee von Zukunft für dieses Land haben SPD und
Grüne das noch nicht ausformuliert. Möglich, dass sie dazu jetzt die
Chance erhalten. Falls nicht, wird es eine andere Mehrheit geben, sei
es auch eine große Koalition. Eine neue Minderheitsregierung wird es
jedenfalls und hoffentlich nicht geben. Insofern bringt die Auflösung
des Landtags und die Wahl im Mai Klarheit. So oder so.

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