Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu „Zehn Jahre Rauchverbot“: Autorin: Claudia Bockholt

Der Lärm hat sich gelegt, der Rauch verzogen.
Vor zehn Jahren hat Bayern das damals deutschlandweit schärfste
Rauchverbot eingeführt. Über kaum ein Thema vorher und nachher wurde
so lange und so erbittert gestritten. Kein Wunder: Es betrifft ja
jeden. Sogar die Landtagswahl haben die wütenden Raucher und Wirte
beeinflusst. Die CSU, treibende Kraft des Nichtraucherschutzgesetzes,
verlor die absolute Mehrheit. Hat sich der ganze Ärger gelohnt?
Definitiv. Die Bürger werden sich in Zukunft vermutlich sogar auf
weitere Einschnitte in ihre individuelle Freiheit einstellen müssen.
Der Staat hat die Pflicht, die ursprünglich unbegrenzte Freiheit des
Einzelnen dort zu limitieren, wo es für ein gedeihliches
Zusammenleben erforderlich ist. Er hat gleichzeitig die Pflicht, alle
davon nicht berührten Freiheiten zu gewährleisten. „In diesem Prinzip
wechselseitiger Einschränkung von Freiheit liegt das Kriterium eines
freiheitlichen Staates“, sagt der deutsche Philosoph und
Kant-Spezialist Prof. Otfried Höffe. Da das Einatmen fremden
Zigarettenrauchs nachweislich die Gesundheit schädigt, blieb dem
Gesetzgeber gar nichts anderes übrig, als gegen die Qualmer und pro
saubere Luft zu entscheiden. Das Rauchen in den eigenen vier Wänden
hingegen bleibt unangetastetes Persönlichkeitsrecht. Heute sieht sich
der Staat mit immer mehr Bürgern konfrontiert, denen das
Allgemeinwohl reichlich schnuppe ist und denen die persönlichen
Bedürfnisse alleiniger Maßstab sind. Wer es sich leisten kann, fährt
SUV statt Kleinwagen. Pfeif auf das Klima! Sogar am Heiligen Abend in
der Kirche blickt man auf Handydisplays statt auf den Altarraum. Nur
einer muss das Smartphone zücken, schon fallen alle Schranken und
jeder will sein Video von der „Stillen Nacht“ haben. Pfeif– auf die
Andacht der Anderen! Sich unterzuordnen, und sei es auch nur
vorübergehend, scheint allen immer schwerer zu fallen. Eine aktuelle
Untersuchung zeigt, dass mittlerweile fast jeder zweite Bayer schon
einmal in einen Nachbarschaftsstreit verwickelt war. Vor drei Jahren
war es nur jeder Dritte. Der Mensch ist eigentlich ein soziales
Wesen. Er hat im Lauf der Evolution gelernt, dass er bessere
Überlebenschancen hat, wenn er sich mit anderen in einer starken
Gruppe zusammenfindet. Doch die sozialen Kontroll- und
Steuerungsmechanismen funktionieren nicht mehr wie früher: Familie,
Kirche, Vereine und andere Instanzen, die traditionell Normen und
Werte vermitteln, geben weniger Halt, verlieren an Bedeutung.
Zugleich leben immer mehr Menschen auf engem Raum zusammen. Die
Urbanisierung ist ein unumkehrbarer weltweiter Trend. Und je dichter
wir einander auf die Pelle rücken, umso mehr steigen Stresspegel,
Adrenalinspiegel und Aggressionspotenzial. Soziale Kontrolle wird von
Überwachungskameras und patrouillierenden Polizisten übernommen.
Allein kriegen die Menschen das nicht mehr geregelt. Schon allein,
weil wir zuviele sind und zuviel Schmutz machen, muss immer öfter der
Staat ran. Demnächst stoppt er das Lieblingsspielzeug der Deutschen.
Ein Tempolimit auf der Autobahn hat die Automobilistenlobby bislang
verhindert, doch das Dieselfahrverbot für Innenstädte wird kommen.
Ein nächster, nur logischer Schritt ist das Verbot von
Silvesterböllerei in den Innenstädten. Alljährlich werden dabei laut
Bundesumweltamt 5000 Tonnen Feinstaub frei gesetzt. Diese Menge
entspricht, man glaubt es kaum, rund 17 Prozent der jährlich im
Straßenverkehr abgegebenen Feinstaubmenge. Das Wutgebrüll
passionierter Böllerer wird lauter sein als alle Jahreswechselheuler.
Zehn Jahre später wird es heißen: War doch eigentlich sehr viel Rauch
um nichts.

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