Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel „Mittelbayerische Zeitung“ (Regensburg) zu Regierungserklärung Seehofer

Aufbruch zu verkaufen

Als Anfang Januar die Umfragewerte für die CSU bei 46 Prozent
gemessen wurden, war für viele Christsoziale die Welt wieder in
Ordnung: Das Wahldebakel von 2008 war nur ein Unfall, die
Zwangsliaison mit der ungeliebten FDP eine Episode auf dem Weg zurück
zur absoluten Mehrheit. Da wurden Fäuste geballt, und das nicht nur
unterm Tisch: Mir san wieder mir. Seitdem ist es wie verhext:
Schulminister Ludwig Spaenle kommt in Erklärungsnot, weil er
erläutern muss, dass auch Einser-Absolventen nicht in den Schuldienst
übernommen werden. Die stets lächelnde Agrar- und
Verbraucherministerin Ilse Aigner brachte sich durch Schweigen an den
falschen Stellen selbst in den Verdacht, eine Magd der
Futtermittel-Lobby zu sein. Sogar Superstar Karl-Theodor zu
Guttenberg ist in raue Gewässer geraten, nachdem er den Kapitän der
„Gorch Fock“ unmotiviert über die Planke geschickt hat und
gleichzeitig Informationspannen rund um den Tod eines deutschen
Afghanistan-Soldaten erklären musste. Generalsekretär Alexander
Dobrindt ist in letzter Zeit neben der Hatz auf imaginäre Kommunisten
vor allem durch ein Internetfilmchen aufgefallen, das die Grünen
lächerlich machen soll, aber eher auf seinen Urheber zurückfällt.
Riesen-Ärger, auch aus den eigenen Reihen, bekam die CSU wegen des
von der Staatskanzlei installierten Zukunftsrats, der sich zu dem Rat
verstieg, ländliche Gebiete bewusst zu vernachlässigen. Und zu allem
Überfluss macht sich der 19-jährige Sohn des schneidigen
Innenministers Joachim Herrmann auch noch als eine Art Gangsta-Rapper
bemerkbar. Die ersten Wochen des neuen Jahres sind also suboptimal
gelaufen für die so hoffnungsfroh gestarteten CSU-Größen. Zumal sich
die ungeliebte bayerische FDP überraschend wacker hält im
öffentlichen Zuspruch. Nur einer schaffte es, sich aus den
tagespolitischen Scharmützeln herauszuhalten: Horst Seehofer. Der
Ministerpräsident hat sich vermutlich diebisch gefreut, dass er
einmal nicht im Zentrum der Kritik stand. Gestern wollte er bei
seiner Regierungserklärung noch eins draufsetzen mit seinem „Aufbruch
Bayern“. Das eine Milliarden Euro teure Sonderprogramm wurde in der
Staatskanzlei ausgetüftelt und soll die Marschrichtung für die
nächsten Jahre vorgeben. Dass der einen Milliarde Euro für die
Sonderausgaben fast der doppelte Betrag an Einsparungen, versteckt im
Doppelhaushalt von Finanzminister Fahrenschon, gegenübersteht, hat
die Opposition zu Recht als Etikettenschwindel gebrandmarkt. Trotzdem
lohnt es sich, genauer hinzusehen: Zumindest bei der Bildung wurde
diesmal nicht gespart. Die Etats des Kunst- und des Schulministeriums
werden deutlich aufgestockt. Ludwig Spaenle kann neue Lehrer
einstellen, Wolfgang Heubisch die Theater abseits der Metropolen
fördern. Damit kann man Punkte machen. Aber zu welchem Preis? Die
Oberste Baubehörde muss ihren Etat um 500 Millionen Euro eindampfen.
Der Aderlass wird dafür sorgen, dass viele bayerische Straßen
weiterhin in dem miserablen Zustand bleiben, die der bayerische
Rechnungshof seit Jahren anprangert. Die Förderung von Städtebau und
Wohnraum sinkt um 35 Millionen Euro, statt, wie im „Aufbruch“
genannt, um 14 Millionen zu steigen. Und die Investitionsquote sinkt
auf einen historischen Tiefststand. Der ist immer noch besser als
beim Rest der Republik. Aber die CSU ist eine Partei, die für sich
den Anspruch erhebt, optimale Lebensbedingungen für alle Bayern zu
schaffen. Ein schmales Sonderprogramm als „Aufbruch“ zu verkaufen
genügt da bei weitem nicht.

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