Auf dem Vorstoß lastet ein schwerer
Sommerloch-Verdacht. Scheinbar ohne Not und ohne rechten Anlass
fantasiert ein führender CDU-Politiker der Republik, immerhin
Ministerpräsident eines Flächenlandes, über quasi widernatürliche
Bündnisse mit der Linken – jener Partei also, die konservative
Traditionalisten immer noch als eine Verkörperung des
DDR-Unrechtstaates verteufeln. Stößt Daniel Günther zur eigenen
Profilierung eine Phantomdiskussion an? Soll hier etwas
zusammenwachsen, was überhaupt nicht zusammengehört? Man mag Günthers
laute Gedankenspiele als absurd abtun, als einen Versuch eines
vermeintlichen Kronprinzen von Angela Merkel, mit einem Aufreger
gezielt die öffentliche Aufmerksamkeit zu füttern. Die
Bundeskanzlerin dementierte ebenso pflichtschuldig wie knapp: „Ich
befürworte keine Zusammenarbeit mit der Linken-Partei.“ Aus der CSU
wettert – ebenso erwartbar – Hans-Peter Friedrich, der Vizepräsident
des Bundestages: „Teile der CDU scheinen völlig die Orientierung zu
verlieren!“ Doch steckt hinter den Ideen des Schleswig-Holsteiners
Günther, der selbst eine relativ geräuschlos funktionierende
Jamaika-Koalition mit den Grünen und der FDP anführt, durchaus
Kalkül. Man könnte auch sagen: Die pure Not diktiert seinen Vorstoß.
Denn so bunt war Deutschland noch nie. Und es verspricht oder droht –
je nach Lesart – noch bunter zu werden. Auf der Regierungsebene der
Länder finden sich 13 verschiedene Farbkonstellationen. Die Suche
nach Mehrheiten erfordert, ganz anders als in den gemütlichen Zeiten
der alten Bundesrepublik, politische Geschmeidigkeit und beizeiten
Wendigkeit. Daniel Günther verfügt offenbar über diese Gabe. Früher
ein Vertreter stramm rechtskonservativer Positionen, hat er sich
längst als loyaler Merkelianer in den aktuellen Mainstream der CDU
einsortiert. Medien heften ihm nun flugs das Etikett „Merkels
Linksprinz“ an. Doch der 45-Jährige denkt erkennbar über die Ära
Merkel hinaus. Die natürlichen Machtoptionen für die selbst ernannte
Kanzlerpartei schwinden – selbst auf Bundesebene. Demoskopen sehen
CDU/CSU und SPD im Verbund im stetigen gemeinsamen Sinkflug unter die
50-Prozent-Marke. Noch unkalkulierbarer sind die Konstellationen in
den Bundesländern, zumal in den ostdeutschen. Wo sich die CDU einst
in satten absoluten Mehrheiten sonnte, ringt sie – siehe Sachsen –
zunehmend verzweifelt mit der AfD um die Spitzenposition in der
Wählergunst. Dort sowie in Brandenburg und Thüringen stehen 2019
Landtagswahlen an. Auf kommunaler Ebene flirten Christdemokraten
unverhohlen mit der AfD, pflegen informelle Kooperationen. Die CDU
droht in eine strukturelle Abhängigkeit von der schrillen
Rechtsaußen-Partei zu geraten, was ihre Machtperspektive und
Koalitionsmöglichkeiten angeht. Günther plädiert daher aus guten
Gründen dafür, Scheuklappen abzulegen und Schnittmengen mit der
Linkspartei auszuloten. Zumindest sozialpolitisch kämen wohl mehr
Punkte zusammen, als manche Konservative derzeit für denkbar halten.
Und selbst die Migrationsfrage muss auf Länderebene kein
unüberwindliches Hindernis für ein solches Bündnis sein. In Bayern
ticken die Uhren derweil noch anders. Für den Fall des sich bereits
anbahnenden Verlusts der absoluten Mehrheit bei den Landtagswahlen im
Oktober hätte die CSU wahrscheinlich eine Auswahl natürlicher
Partner, von den Freien Wählern über die FDP bis hin zu den Grünen,
auch wenn Letztere aktuell noch das Trennende zu den Positionen
Seehofers und Söders betonen. Doch auch im Freistaat zeichnet sich
eine unaufhaltsame Fragmentierung der Parteienlandschaft ab, hin zu
einem Sechs- oder Sieben-Parteien-Parlament. Für die CSU mag die von
Günther angeschobene Debatte noch Teufelszeug sein. Aber auch für sie
könnte sich irgendwann der Zwang zur Vielfalt ergeben.
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