Wer sich 2009 gewundert hat, warum der
Wahlkampf damals so seltsam inhaltsleer war, der könnte 2013 ein
Déjà-vu erleben. Der Ausgang der Landtagswahl in Niedersachsen mag
das schwarz-gelbe Lager erschüttert haben; er mag Rot-Grün einen lang
erhofften Schub für den Start ins Wahljahr gegeben haben. Aber gerade
das dürfte am Ende dazu führen, dass die Merkel-CDU alles in ihrer
Macht Stehende unternehmen wird, die Zitterwahl im Norden zum
Ausnahmefall werden zu lassen. Angela Merkel hatte vor vier Jahren
etwas perfektioniert, was in der Politikwissenschaft „asymmetrische
Demobilisierung“ genannt wird. Vereinfacht ausgedrückt ist das die
Strategie, die Anhänger des politischen Gegners davon abzuhalten, zur
Wahl zu gehen, indem man Konfliktthemen im Wahlkampf umgeht. Genau
das macht die Union bereits seit geraumer Zeit. Vom Mindestlohn bis
zur Rentenreform führen CDU und CSU eine Version der
„Hase-und-Igel“-Geschichte auf: Egal, wo SPD oder Grüne versuchen,
Akzente zu setzen, ist die Union schon da. Dass hinter den Konzepten
der beiden Kontrahenten ganz unterschiedliche Vorstellungen stecken,
spielt dabei erst einmal keine Rolle. Hauptsache, man lässt keine
Flanke ungedeckt. Vor allem die SPD-Wähler haben, so die Idee, wenig
Grund, sich auf den Weg ins Wahllokal zu machen, wenn klassisch
sozialdemokratische Themen bei einer in die Mitte gerückten Union
auch vorhanden sind. Die Wähler von CDU und CSU hingegen sind alleine
schon deswegen leichter zu motivieren, weil sie keine linke Mehrheit
an der Regierung sehen möchten. Soweit die Theorie. Merkels Union ist
nicht mehr die von 2009. Vor lauter In-die-Mitte-Rücken hat sie ihre
konservativen Wähler vergrault. In den Landtagswahlen seit 2009 hat
sie teils massive Einbußen hinnehmen müssen. Und der Partner im
bürgerlichen Lager, die FDP, schwächelt. Seit Niedersachsen ist klar,
dass eine Kampagne, ihn zu stützen, eine Art von
Selbstkannibalisierung darstellt. Von nun an ist die Union auf sich
alleine gestellt, und das heißt auf Merkel alleine. Eine gefährliche
, aber nicht aussichtslose Situation. Merkel ist schließlich die
verkörperte Demobilisierung. Sie hat keine Kanten, an der sich ein
Gegner reiben könnte. Vielleicht war das der Grund, warum die SPD
sich entschloss, Peer Steinbrück gegen sie antreten zu lassen. Das
aber war die falsche Schlussfolgerung aus der richtigen Analyse. Denn
die SPD hat sehr wohl erkannt, dass Merkel dabei ist, im Schlafwagen
ins Kanzleramt zu rollen. Dass es einen aggressiven, kämpferischen
Auftritt braucht, damit dieser Schlafwagen nicht sandmännchengleich
die Nation in süßen, untätigen Schlummer schicken kann. Die SPD hat
in Nordrhein-Westfalen gesehen, dass ein klassischer
sozialdemokratischer Kurs, der soziale Themen in den Vordergrund
stellt, erfolgreich sein kann. Sie hat vergessen, dass in NRW ein
wichtiger Faktor hinzukam: Glaubwürdigkeit, jene Eigenschaft, die
Hannelore Kraft besitzt und die Peer Steinbrück verspielt hat. Zumal
ihm jener Linksdrall fehlt, ohne den ein Gegenentwurf zum
konservativ-mittigen Ansatz der Merkel-Union nicht glaubhaft
vermittelbar ist. Steinbrücks Kandidatur war ein Fehler; aber er hat
noch eine Chance. Er muss das machen, was die SPD ursprünglich
plante: dem Programm Vorrang vor dem Kandidaten einräumen. Denn
sicher geht es auch in dieser Wahl um die Stabilität des Euro und der
EU, um die der deutschen Wirtschaft ohnehin. Sicher hat die Kanzlerin
sich in diesen Bereichen profiliert. Aber es wäre ebenso wichtig,
wenn dieser Wahlkampf auch darum ginge, wie wir miteinander leben
wollen; wie wir es schaffen, einer immer größer werdende Zahl von
alten, kranken und sozial schwachen Menschen ein gutes Leben zu
ermöglichen. Die SPD könnte in dieser Debatte wichtige Akzente
setzen. Es wäre der einzige Weg, ein wenig mehr Spannung in ein
Wahljahr zu bringen, in dem ansonsten in Anlehnung an das Zitat des
Ex-Fußballers Gary Lineker gelten könnte: Alle dürfen mitspielen,
aber am Ende gewinnt Merkel. Autor: Christian Kucznierz
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