steht vor einem Superwahljahr, das die
politische Landschaft kräftig durcheinanderwirbeln könnte – so sehr,
dass kein Stein mehr auf dem anderen steht. Den Auftakt erleben wir
in 16 Tagen in Niedersachsen, wo man mit Fug und Recht von einer
Richtungswahl sprechen kann. Denn am 20. Januar steht mehr auf dem
Spiel als die Zukunft der schwarz-gelben Landesregierung von
CDU-Ministerpräsident David McAllister. Es geht zunächst um die
Frage, ob sich die FDP überhaupt noch einmal vom Sterbebett erheben
kann. Und daran entscheidet sich – im Augenblick zumindest – das Wohl
und Wehe der CDU. Denn falls die Liberalen sich nicht wieder
berappeln, braucht die Union schleunigst einen Ersatzpartner für
künftige Regierungsbildungen. Wenn am Abend des 20. Januar die ersten
Hochrechnungen aus Niedersachsen über die Bildschirme flimmern, wird
es so oder so eine politische Zäsur geben. Nennen wir zuerst die
unwahrscheinliche Variante, die alle aktuellen Wahlprognosen auf den
Kopf stellen würde: Ministerpräsident McAllister erreicht tatsächlich
ein Ergebnis, mit dem er Rot-Grün verhindern könnte – ob mit oder
ohne die Liberalen. Dann würde er als großer Sieger dastehen, der den
Abwärtstrend der Union stoppen konnte. Und er würde automatisch in
die ausgedünnte Kronprinzenriege von Königin Angela Merkel aufrücken
– mit großen Zukunftsperspektiven in der Bundespolitik. Nach allen
jetzigen Umfragen käme ein Sieg McAllisters allerdings einem Wunder
gleich. Die wahrscheinliche Variante lautet: Die CDU wird zwar mit
Abstand stärkste Partei, für eine Regierungsbildung reicht es aber
nicht, weil die FDP die fünf Prozent nicht schafft. Für McAllister
wäre das zwar bitter, weil er trotz eines optischen Siegs abgewählt
wäre. Er könnte sich die Niederlage aber versüßen, indem er die
Verantwortung allein auf die Liberalen abwälzt. Und er könnte sich
damit trösten, dass eine Schlappe mit 40 Prozent plus X seine
bundespolitischen Ambitionen nicht verbauen würde. Im Vergleich zu
den meisten anderen Landesfürsten stünde er wahlarithmetisch immer
noch als Lichtgestalt da. Für die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin wäre
der Verlust Niedersachsens dagegen ein Fanal. Der Union käme ein
weiteres wichtiges Flächenland abhanden. Ein ähnliches Erlebnis hatte
die SPD unter Altkanzler Gerhard Schröder, als die Sozialdemokraten
reihenweise krachende Niederlagen in den Ländern kassierten. Am Ende
stand die Abwahl der rot-grünen Bundesregierung. Jetzt, so scheint
es, passiert genau das Gegenteil: Schwarz-Gelb wird von den Wählern
abgewatscht. Im Rückblick auf Baden-Württemberg oder
Nordrhein-Westfalen kann man langsam von einem rot-grünen Siegeszug
sprechen, der auch auf den Bund Signalwirkung hätte. Vor allem dann,
wenn sich ein weiterer Trend aus Niedersachsen verstärken sollte: Die
Entwicklung zu einem Drei-Parteien-Parlament ohne FDP, Linkspartei
und Piraten. Falls es auch im Bundestag auf ein Parlament ohne diese
drei hinausliefe, könnte Merkel ihre Kanzlerschaft wohl nur durch
eine absolute Mehrheit für die Union retten. Doch das ist
unwahrscheinlich. Die große Popularität der Kanzlerin allein wird CDU
und CSU wohl nicht zu einem solchen Traumergebnis verhelfen. Vor
diesen Szenarien klingt es nur plausibel, wenn CSU-Chef Horst
Seehofer nun als erster Unionsgrande die Fühler vorsichtig nach den
Grünen als möglichem Koalitionspartner ausstreckt. Denn die Zukunft
der FDP steht in den Sternen. Selbst wenn die Liberalen tatsächlich
einen Putsch gegen ihren glücklosen Vorsitzenden Philipp Rösler wagen
sollten, dann müsste er vor dem 20. Januar geschehen. Ein Austausch
der Führung nach einem Scheitern in Niedersachsen würde nur wie die
Panikreaktion eines Ertrinkenden wirken, nicht aber wie ein
Befreiungsschlag. Man darf gespannt sein, wie sich die Union
demnächst gegenüber FDP und Grünen positioniert. Liebesheiraten – das
ist der Kern von Seehofers Botschaft – gibt es in der Politik nicht,
sondern nur Schicksalsgemeinschaften. Autor: Stefan Stark
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