Von Renzo Ruf
Auch mächtige Politiker sind bloß Menschen. Dieses Urteil klingt
wie eine Binsenwahrheit, stammt aber aus dem Mund eines schlauen
Beobachters des Washingtoner Politbetriebs. Gerald Seib, der für das
Wirtschaftsblatt „The Wall Street Journal“ eine scharfe Feder führt,
schrieb: „Eindimensionalen“ Politikern gelinge selten der Sprung ins
höchste Staatsamt. Stattdessen handle es sich bei den Bewohnern des
Weißen Hauses um „komplexe“ Persönlichkeiten. Der Republikaner George
W. Bush entsprach nie dem Zerrbild, das gerade in Europa von ihm
gezeichnet wurde. Dieselbe Binsenwahrheit gilt auch für seinen
demokratischen Nachfolger Barack Obama. Er war stets mehr als ein
charismatischer Redner, der im Wahlkampf 2008 eine neue Politik
versprach und damit die ganze Welt in Begeisterungsstürme versetzte.
So machte der ausgebildete Verfassungsrechtler keinen Hehl daraus,
dass er Anhänger eines starken Staates ist. Gleichzeitig war Obama
aber nie ein orthodoxer Linker, der im Staat die allein seligmachende
Lösung aller Probleme sieht. In seinen viereinhalb Jahren im Amt
stieß der Präsident mit diesem Kurs Feind wie Freund vor den Kopf.
Republikaner beklagen sich darüber, dass der Präsident „permanent
Wahlkampf“ betreibe, und sich als Washingtoner Außenseiter aufspiele.
Demokraten wiederum finden, die ständigen Spitzen des Weißen Hauses
gegen das Parlament seien überflüssig, und charakterisieren den
Präsidenten als „isoliert“ und „politisch unfähig“. Seit der
Enthüllung über das Ausmaß der Überwachungsarbeit der
US-Geheimdienste werfen die Parteifreunde nun Obama vor, er habe
seine Wahlversprechen gebrochen, mit dem System Bush ein Ende zu
machen. Vermeiden lassen sich diese Konflikte zwischen Exekutive und
Legislative nicht, insbesondere nicht im amerikanischen
Politiksystem, in dem Parlament und Präsident (fast) gleichberechtigt
um Macht und Einfluss ringen. Tatsache aber ist, dass Obamas
Konfrontationskurs seinen Spielraum einschränkt. Immer weniger
Parteifreunde im Parlament sind bereit, dem Weißen Haus die Stange zu
halten – weil sie bereits auf die nächsten Wahlen im Herbst 2014
schielen, und auf die Zeit nach dem Ende der Amtszeit Obamas 2017.
Ein gutes Beispiel für diese Emanzipationsbestrebungen gibt die
Reform des Einwanderungsrechtes ab, über die seit Montag in der
kleinen Parlamentskammer debattiert wird: Die wichtigen Grundlagen
des im Senat vorliegenden Gesetzesentwurfes wurden durch acht
Abgeordnete – vier Demokraten, vier Republikaner – ausgearbeitet. Der
Präsident hingegen spielte bloß die zweite Geige. Die zahlreichen
Affären und Enthüllungen der vergangenen Woche – die von angeblichen
Vertuschungsmanöver im Nachgang auf den Terror-Angriff auf das
US-Konsulat in Bengasi bis hin zur politischen Voreingenommenheit des
Fiskus reichen – drohen nun Obamas Ansehen weiter zu beschädigen. Und
dem Präsidenten wird es in seiner zweiten Amtszeit zunehmend schwer
fallen, desillusionierte Aktivisten in seine politischen Kampagnen
einzuspannen. Bloß: Noch ist Präsident Barack Obama politisch nicht
am Ende. Gerade die Enthüllungen über die Schnüffel-Arbeit der NSA
zeigen, wie komplex die Nachbearbeitung solcher innenpolitischen
Bomben in den USA verläuft. Grundsätzlich gilt: Für die hiesigen
Medien sind die Dokumente, die Edward Snowden dem britischen
„Guardian“ und der amerikanischer Washington Post“ übergab, ein
gefundenes Fressen. Zeitungen und Nachrichtensender überbieten sich
gegenseitig mit Spekulationen über das Ausmaß der Überwachungsaktion
und die angeblich fehlende politische Überwachung der Schlapphüte. In
der breiten Öffentlichkeit allerdings sorgen die Enthüllungen
Snowdens bisher nicht für eine Welle der parteiübergreifenden
Empörung. Dem Datenschutz kommt in den Amerika nicht dieselbe
Bedeutung zu wie in Europa. Zudem ist eine Mehrheit der Amerikaner
seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 bereit, für den
Schutz der USA einen gewissen Preis zu zahlen – und die
Anti-Terror-Politik des Präsidenten zu unterstützen.
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