Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar
Merkels Wende in der Atompolitik
Die Prüfung kommt noch
ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN

Die Wendigkeit von Kanzlerin Angela Merkel hat
mittlerweile eine schwindelerregende Qualität erreicht. Nun soll eine
Ethikkommission den gesellschaftlichen Boden für einen beschleunigten
Atomausstieg bereiten. Selbst wenn nach den fürchterlichen
Erfahrungen in Japan diese Kommission vermutlich viele offene Türen
einrennen wird, ist solch ein Gremium zu begrüßen. Noch besser wäre
es allerdings gewesen, wenn Merkel den ehrenwerten Klaus Töpfer und
seine Mitstreiter bereits im vergangenen Herbst zurate gezogen hätte
– bevor die Kanzlerin in ihrem „Herbst der Entscheidungen“ die
Verlängerung der AKW-Laufzeiten ganz ohne gesellschaftliche Debatte
durchpeitschte. Damals suchte Merkel die Verständigung vor allem mit
den Chefs der vier großen Energiekonzerne. Die öffentliche Meinung
war dagegen zweitrangig. Das wurde damals zu Recht als Dickfelligkeit
einer Regierung kritisiert, die der Atomlobby die Türen weit geöffnet
hatte. Sollte Merkel mit diesem Lobby-Unwesen tatsächlich brechen,
wäre das ein Fortschritt. Offenbar besteht das neue Kalkül nun darin,
den Betrieb von Atomkraftwerken langfristig unrentabel zu machen. Die
von Norbert Röttgen formulierten Sicherheitsanforderungen klingen
jedenfalls anspruchsvoll. Da wird sich die Atomlobby die Augen
reiben. Dass die Energiekonzerne und ihre Interessenvertreter sich
momentan relativ still verhalten, kann sich schnell wieder ändern.
Wenn die Bilder aus Japan weniger werden und die Wahl in
Baden-Württemberg am Sonntag um 18 Uhr vorbei ist, wird sich die
Atomlobby aus ihrer Schockstarre befreien. Erst dann beginnt die
wahre Prüfung für Angela Merkel. Dann zeigt sich, ob eine von ihr
geführte Regierung nicht bloß aus Wahlkalkül Stimmungen nachgibt. Und
ob dann noch gilt, dass die Sicherheit der Menschen ganz oben
rangiert.

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