Kaum etwas in der Politik ist so verführerisch
wie Macht. Tunesiens Präsident Ben Ali hat sich so lange wie möglich
an sie geklammert, Ägyptens Mubarak ebenso wie Libyens Diktator
Gaddafi. Sie alle wurden von den Protesten des Arabischen Frühlings
aus dem Amt gejagt, letztgenannter am Ende – die genauen Umstände
sind unklar – gar erschossen. Ägyptens Militärrat hat aus alldem
nichts gelernt. Statt sich wie angekündigt einige Zeit nach dem Sturz
Mubaraks zurückzuziehen, die Verantwortung an eine zivile Regierung
zu geben und den Weg frei zu machen für eine Demokratisierung
Ägyptens, hat er die vergangenen Monate nur genutzt, seine Stellung
weiter zu festigen. Macht ist verführerisch. Die vom Rat
vorgestellten Verfassungsrichtlinien, die das Militär über das
Parlament stellen, der Armee weitgehende Autonomie garantieren und
den Verteidigungshaushalt der parlamentarischen Kontrolle entziehen,
treten die Ideale und Ziele, für die die Ägypter auf die Straße
gingen, mit Füßen. Präziser und weitgehender: Durch den Einsatz von
Gewalt gegen friedliche Demonstranten delegitimiert sich der Rat –
obwohl sich das Militär beim Sturz Mubaraks noch an die Spitze des
Volkes stellte. Und so sind die aktuellen Proteste in Ägypten nichts
anderes als eine neue, eine zweite Revolution. Die Menschen auf dem
Kairoer Tahrir-Platz und in den anderen Städten kämpfen für das, was
sie glaubten, bereits gewonnen zu haben: Freiheit und Demokratie. Und
sie sind bereit, dafür zu sterben. Soll noch Schlimmeres verhindert
werden, muss der Militärrat zurücktreten. Die Armee muss dann die
kommenden Wahlen absichern, so dass eine neue Regierung gewählt
werden kann. Doch das Militär hat viel zu verlieren. Es hat eine
eigene Gerichtsbarkeit, eigene Firmen. Und Macht, wenn man sie erst
einmal hat, ist verführerisch.
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