Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Neujahrsansprachen Starker Tobak allüberall CARSTEN HEIL

Seit Jahrzehnten ist es üblich, dass
Staatsoberhäupter und Regierungschefs den Jahreswechsel nutzen, um
sich per Neujahrsansprache an das Volk zu wenden. Meist geht es dabei
eher versöhnlich bis kuschelig zu. Niemand will den Weihnachtsfrieden
stören. Anders in diesem Jahr: Kanzlerin Angela Merkel hat ihre Rede
dazu genutzt, den Deutschen ins Gewissen zu reden. Sie sollten
aufwachen, so könnten die Merkel-Worte verstanden werden. Das gelte
für den Umgang mit Flüchtlingen und auch was die Einstellung der
Anhänger von Pegida angeht. Besonders besorgniserregend sind jedoch
die Worte, die in dieser Silvesternacht zum Thema Ukraine gesprochen
wurden. Harsche Worte sind es, die uns klarmachen, dass in der
Ukraine-Krise für Europa und damit für Deutschland noch viel
Zündstoff liegt. Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete die
völkerrechtswidrige Annexion der Krim als „Meilenstein“ in der
Geschichte Russlands. Dahinter steckt viel Drohpotenzial hinsichtlich
der Ostukraine. Und selbst Angela Merkel, sonst eher um
Verbindlichkeit bemüht und Vorsicht, erklärt in ihrer Ansprache dazu
sehr eindeutig: Es stehe außer Frage, dass „Europa ein angebliches
Recht eines Stärkeren, der das Völkerrecht missachtet, nicht
akzeptieren kann und nicht akzeptieren wird“. Auch wenn sie Russland
ein paar Sätze zuvor in die europäische Sicherheitsarchitektur
einbezogen hat, bleibt die Härte im entscheidenden Satz. Freilich hat
sie nichts dazu gesagt, was passiert, wenn Putin nicht so will wie
Europa. Petro Poroschenko als Präsident der Ukraine trägt nicht zur
Entspannung bei, wenn er seinen Landsleuten in seiner Neujahrsrede
verspricht, dass die Ukraine in der EU aufgenommen werde. Denn das
genau ist ja einer der Streitpunkte oder zumindest der Vorwand für
den Separatismus im Osten des Landes. Einzig der Papst bleibt bei
seiner Friedensbotschaft und seinem uneingeschränkten Aufruf, sich
für Schwache und Verfolgte einzusetzen. Es wäre auch ein Trauerspiel,
wenn Franziskus das nicht täte.

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