Die Große Koalition sieht sich dem Vorwurf
ausgesetzt, keine radikalen Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu
finden, sich schon vor ihrer Konstituierung ambitions- und visionslos
zu zeigen. Der Grüne-Vorsitzende Habeck fand aus gegebenem Anlass das
lockere Sprachbild vom ausgelatschten Paar Schuhe ohne Schnürsenkel.
Schön. Doch wieso sollte es anders sein? Eine konservative
Initialzündung zu verlangen, ist für sich ein Paradox – erst recht
von einer vier Wahlperioden regierenden Union in der letzten
Wahlperiode. Und auch von den geschlauchten Sozialdemokraten wird
hier zu viel verlangt, die vom Bundespräsidenten erst zu
Koalitionsgesprächen genötigt wurden – in der Ahnung, dass dies ihr
endgültiges Aus in der Wählergunst bedeuten könnte. Vor allem aber:
Wieso sollten sie einen radikalen Aufbruch anstreben – Union oder
SPD? Nachdem Deutschland doch genau jenes Bild abgibt, das sie selbst
über Jahre gemeinsam so und nicht anders geformt haben? Von der
allerersten Großen Koalition in Westdeutschland blieb die angeblich
erschröckliche Lehre, dass sie die Ränder stärkte. Die SPD war es,
die damals, 1969, davon profitierte und eine sozialliberale Koalition
bilden konnte. Weil die rumorende Gesellschaft auf Veränderung
drängte und die Hoffnungen links landeten. Dieser Effekt ist heute in
weiter Ferne. Nun ist zu konstatieren: Große Koalitionen schleifen
die Unterschiede – überall dort, wo die Ränder nicht sind. Das ist
fast noch schlimmer. Und zeigt sich auch in albernen Erwartungen an
die Koalitionäre.
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