„Russland-Sanktionen werden übererfüllt“
Deutscher Kammerchef in Moskau kritisiert die Berliner Politik und
sieht Russland auf gutem Weg
Osnabrück. Die deutsche Wirtschaft hat politischen
Spitzenvertretern vorgeworfen, ihrem Russlandgeschäft durch
moralischen Übereifer und eine übertriebene Dämonisierung Moskaus zu
schaden. In einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte
der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer,
Matthias Schepp, „als Wirtschaftsverband kritisieren wir, dass
Deutschland die Sanktionen regelrecht übererfüllt“. Beispielsweise
seien Messezuschüsse eingeschränkt worden, was keine europäische
Sanktionsvereinbarung verlangt habe. Zudem würden deutsche
Spitzenpolitiker große russische Wirtschaftsforen meiden, auf denen
die Staats- und Regierungschefs anderer Sanktionsländer wie
Frankreich, Italien, Österreich und Japan neben Wladimir Putin
aufträten. „So stoßen andere Länder und Lieferanten in die Lücken,
die wir ohne Not hinterlassen“, kritisierte Schepp.
Im Januar steht die Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland
an. Sie wurden wegen der Annexion der Krim sowie des Konflikts in der
Ostukraine verhängt. Die Wirkung sei sehr begrenzt, sagte Schepp der
NOZ in Moskau. In Teilen würden sie Russland sogar stärken. „Der
notgedrungene Versuch der russischen Regierung, ausländische Produkte
zu ersetzen, belebt in einigen Bereichen die eigene
Wirtschaftskraft“, erklärte der Landeskenner. Mehrere Sektoren seien
für westliche Anbieter inzwischen dauerhaft verloren.
Auch finanzpolitisch sei Russland ausgesprochen stabil. Zwar werde
das Land auf absehbare Zeit wachstumsschwach bleiben. „Aber man muss
festhalten, dass es den Doppelschock aus zeitweise sehr niedrigen
Preisen für Öl und Gas und den westlichen Sanktionen gut verkraftet
hat“, erklärte Schepp.
Der Kammerchef verwies darauf, dass es Regierung und Zentralbank
gelungen sei, die Preissteigerung auf den niedrigsten Stand seit dem
Zerfall der Sowjetunion zu senken. Zugleich verfüge Russland
inzwischen über die fünftgrößten Währungsreserven der Welt. Der
Außenhandelsüberschuss steige. Gleichzeitig habe das Land die
weltweit sechstniedrigste Staatsschuldenquote gemessen am
Bruttoinlandsprodukt. „Sie liegt bei 13 Prozent. In Deutschland reden
wir über 64 Prozent, in den Südländern der EU über mehr als 100
Prozent. Russland zahlt seit 2014 Schulden zurück. Wer macht das
sonst?“, verwies Schepp darauf, dass die Sanktionen trotz mehrfacher
Ausweitung ihr Ziel verfehlten und eher westlichen exportorientierten
Firmen schadeten als den Russen.
Zwar leide das Land an „postsowjetischen Krankheiten wie
Vetternwirtschaft, Korruption, Überbürokratisierung und einer
insgesamt schwach ausgeprägten Privatwirtschaft“, sagte der Vertreter
der deutschen Wirtschaft in Moskau. Immerhin aber sei es gelungen,
die Abhängigkeit von Öl und Gas deutlich zu senken. „2013, vor dem
Ukrainekonflikt, hing der Staatshaushalt zu 52 Prozent von Steuern
auf Öl und Gas ab, im vergangenen Jahr zu 40 Prozent“, erklärte
Schepp.
Sein Fazit: „Unsere Mitglieder wünschen sich eindeutig mehr
Rückenwind aus der Berliner Politik fürs Russlandgeschäft. Gerade in
politischen Krisenzeiten ist die Wirtschaft eine starke und
verlässliche Brücke.“
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