NRZ: Die Reise nach Jerusalem – Kommentar zur SPD von Miguel Sanches

Der Geist ist aus der Flasche. Der Geist war Torsten
Albig, und er war so frei, öffentlich über die K-Frage zu reden. Seit
der Kieler Ministerpräsident sich zur Kanzlerkandidatur äußerte,
folgen einige Sozialdemokraten dem Beispiel: Poß, Nahles, Schmid. Sie
alle nähren das Feuer, auch dann, wenn sie mehr Selbstdisziplin
anmahnen. Die Diskussion war absehbar, weil jeder zur Kandidatur eine
Meinung hat und weil die Medien in der Sommerpause drängen – Angebot
und Nachfrage. Die drei möglichen Kandidaten horchen noch in sich
hinein, die SPD wirkt hier und da unsortiert (konkret in der Frage
der Rentenpolitik), die Großwetterlage ist auch unberechenbar. Das
sind gute Gründe, sich weiter nicht festzulegen und für Angela Merkel
unkalkulierbar zu bleiben. Die Debatte zeigt allerdings, dass der
Druck im Kessel steigt und dass der Plan, erst Ende Januar 2013 die
K-Frage zu beantworten, schwer zu halten ist. Der Begriff Troika
stand für das Potenzial der SPD. Inzwischen kommt er etwas hasenfüßig
daher. Die Troika hat Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück genützt.
Kaum einer schlägt den SPD-Chef als Kandidaten vor. Aber anders als
Vorgänger Kurt Beck hat er volle Handlungsfreiheit. Das hat mit
seiner Führung, aber auch mit der Troika zu tun. So lange es sie
gibt, so lange ist Gabriel der Königsmacher. Es ist auch in seinem
Interesse, die Kür lange zu verzögern. Hat er mal einem anderen den
Vortritt gelassen, muss sich Gabriel zurücknehmen. Das ist delikat.
Steinbrück wiederum müsste die Troika geradezu als geldwerten Vorteil
beim Finanzamt anmelden. Es war die beste Publicity für ihn als
Redner und Buchautor, und falls er Merkel herausfordert, stürzt er
sich mit Lust in die Kampagne; und es wäre der Altherrensommer seiner
Karriere. Ins Grübeln kommt Steinmeier. Er ist nicht so lustbetont
wie die anderen und hat viel zu verlieren, weil er schon 2009 Merkel
unterlag. Bisher steht er für den Unterschied zwischen einer lauten
und einer lauteren Opposition. Nach einer weiteren Niederlage hätte
sich der Unterschied erst mal erledigt. Am Ende wird sich der
SPD-Kandidat fast spielerisch ergeben. Sie fängt gerade an: Die Reise
nach Jerusalem.

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