„Panorama“: Terrorzelle – Straßenverkehrsordnung schützte Nazi-Trio Thüringer Polizei ermittelte wenig erfolgreich

Recherchen des Politikmagazins „Panorama“ vom NDR
im Ersten zeigen anhand bisher unbekannter Details nicht nur, dass
Ermittler schon früh das spätere NSU-Trio im Visier hatten, sondern
auch, dass sie bei diesen Ermittlungen nicht besonders glücklich
vorgingen. Schon im Herbst 1997 standen die späteren mutmaßlichen
Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach einem
Bericht des LKA Thüringen vom Oktober 1997 im Verdacht,
Bombenattrappen gelegt zu haben, in einem Fall wurde sogar
TNT-Sprengstoff verarbeitet. Doch die Ermittlungsversuche der
Thüringer Polizei verliefen, wie neue Akten belegen, eher halbherzig.

So versuchten zwei Beamte der Landespolizei Thüringen am 27.
Dezember 1997, einen Tag nach dem Fund einer weiteren Bombenattrappe
auf dem Nordfriedhof Jena, die Alibis dieser Personen zu überprüfen.
Sie berichteten, dass Beate Zschäpe einfach „keinerlei Angaben zu
ihrem Alibi“ machte, bei Mundlos standen die Polizeibeamten erst
einmal vor der falschen Wohnung, und als man dann seine richtige
Adresse ermittelt hatte, „wurde Herr Mundlos nicht angetroffen“.
Besonders hilflos wirkten die Polizisten bei Uwe Böhnhardt. Just als
die Polizei bei ihm war, kam er in seinem roten Hyundai angefahren.
„Bei dem Fahrer handelte es sich eindeutig um den Herrn Böhnhardt“,
berichteten die Beamten. Doch der erkannte die Polizisten und – laut
„Panorama“ vorliegender Akten – „beschleunigte sein Fahrzeug so,
dass eine Verfolgung im Rahmen der STVO nicht möglich war.“ Das Alibi
von Uwe Böhnhardt, der damals bereits wegen Volksverhetzung
rechtskräftig verurteilt war und eigentlich eine Haftstrafe hätte
antreten müssen, konnte also nicht überprüft werden, weil die Polizei
sonst gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen hätte.

Der inzwischen inhaftierte mutmaßliche NSU-Unterstützer Holger G.,
ebenfalls Mitglied der Kameradschaft Jena, war Ende 1997 bereits
weggezogen. Immerhin einen Erfolg gaben die Beamten zu Protokoll: „Im
Haus durchgeführte Ermittlungen ergaben, dass die Familie G. im Juli
1997 in die alten Bundesländer verzogen ist.“ Dabei war Ermittlern
des Landeskriminalamtes Thüringen schon im Herbst 1997 klar, dass
zumindest fünf Taten von ein und demselben Täterkreis stammten. Und
ebenso, wer die mutmaßlichen Täter sein könnten.

So heißt es in einem Bericht des LKA Thüringen vom Oktober 1997,
dass die bisherigen Ermittlungen darauf hindeuteten, dass die Täter
Mitglieder der sogenannten „Kameradschaft Jena“ seien, zum Teil
bereits polizeibekannt durch rechtsextreme Straftaten. Neben Beate
Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos waren auch die inzwischen
verhafteten NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben, Holger G. sowie der im
Verfahren um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ als Zeuge
vernommene André K. bereits im Visier der Fahnder. Und durch einen
DNA-Abgleich von Spuren, die auf einer der Bombenattrappen gefunden
wurden, war schon zu diesem Zeitpunkt laut Bericht des LKA Thüringen
sicher, dass Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und André K. als
„Spurenverursacher“ in Frage kamen. Das erhärtete den „dringenden
Tatverdacht“ gegen die Nazis schon im Oktober 1997.

Erst am 19. Januar 1998 ordnete das zuständige Amtsgericht Jena
die Durchsuchung von drei Garagen an. Diese Garagen sollten zumindest
von zwei Beschuldigten genutzt werden. Am 26. Januar 1998 wurden die
Garagen durchsucht. In der Garage Nummer 5, gemietet von Beate
Zschäpe, wurden sämtliche Utensilien zum Bau von Rohrbomben gefunden,
sowie eine fertig gebaute Rohrbombe. Daraufhin wurde Haftbefehl gegen
das Trio erlassen. Das war aber bereits abgetaucht.

Der Sprecher des Thüringer Innenministeriums, Stephan Hövelmans,
bestätigt auf Anfrage von „Panorama“, dass die „genannten Personen
bereits in den 90er-Jahren in Jena im Zusammenhang mit
rechtsextremistischen Straftaten aufgefallen und in den Fokus von
Polizei und Justiz geraten“ sind. Thüringens Innenminister Jörg
Geibert habe nach Aufdeckung der Verbrechensserie der inzwischen als
„Zwickauer Trio“ bekannten Gruppe im Herbst 2011 eine unabhängige
Kommission eingesetzt, um die damalige Arbeit der Thüringer
Strafverfolgungsbehörden zu überprüfen und mögliche Versäumnisse zu
ermitteln. Bei der Vorstellung der Kommission am 23. November 2011
habe der Minister erklärt: „Wir wollen vorbehaltlos aufklären, warum
die Strafverfolgungsmaßnahmen in den 90er-Jahren erfolglos geblieben
sind und weshalb das Trio nach dem Verschwinden 1998 nicht mehr
aufgespürt werden konnte.“

Weitere Informationen finden Sie unter www.Panorama.de.

15. Februar 2012 / RC

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