Paritätischer Gesamtverband: Hartz-IV-Totalsanktionen sind verfassungswidrig / AWO: Streichung von Arbeitslosengeld II unvereinbar mit der Menschenwürde

Zwei Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege
üben scharfe Kritik an der Totalsanktionierung von
Hartz-IV-Empfängern. Das berichtet das ARD-Politikmagazin heute
online auf www.reportmainz.de. Werner Hesse, der Geschäftsführer des
Paritätischen Gesamtverbandes erklärt im Interview mit „Report
Mainz“: „Die Mittel völlig zu streichen, ist mit der Verfassung nicht
zu vereinen. (…) Es kann keinen Totalentzug von Leistungen geben,
sondern das Existenzminimum ist zu sichern und sei es notfalls durch
Gutscheine oder durch Sachleistungen.“ Damit kritisiert Werner Hesse
die gängige Praxis von Jobcentern, bei bestimmten Pflichtverletzungen
ihrer Kunden das Arbeitslosengeld II vorübergehend komplett zu
streichen. Nach Angaben der Bundesregierung entfielen im Jahr 2011
bei 10.405 Menschen die Leistungen der Jobcenter vollständig.

Auch Antje Helbig, Referentin für Jugendberufshilfe und
Arbeitsmarkt der Arbeiterwohlfahrt (AWO), hält solche Totalsanktionen
für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz: „Das verträgt sich
selbstverständlich nicht mit der Menschenwürde.“ Und weiter: „Die
Auswirkungen auf die Betroffenen sind sehr dramatisch. (…) Im
Extremfall kann es natürlich auch bedeuten, dass jemand in die
Wohnungslosigkeit getrieben wird“. Die Betroffenen würden durch
Totalsanktionen „in die Isolation getrieben.“ Dies sei „immer
kontraproduktiv. Die Menschen müssen erst mal ihr Notwendigstes im
Leben regeln können und als weiteren Schritt, wenn sie soweit
stabilisiert sind, können sie in Arbeit kommen. Aber dazu tragen
solche Sanktionierungen in solcher Härte überhaupt nicht bei.“

Werner Hesse vom Paritätischen Gesamtverband ergänzt: „Bei den
Jugendlichen setzen die Totalsanktionen nach dem Gesetz ganz schnell
ein. Und wir hören von vielen Jugendämtern, dass diese Jugendlichen
dann gar nichts mehr machen, dass sie sich nicht um Arbeit bemühen,
dass sie am Ende auf der Straße leben und dann bei der Jugendhilfe
wieder aufschlagen und dass sie beispielsweise in
Nichtsesshaften-Obdachlosenheimen ankommen. Das zeigt, dass die
Totalsanktionen absolut kontraproduktiv sind.“

Insbesondere kritisiert Werner Hesse auch die Dauer von
Totalsanktionen: „Ein ganz großes Problem bei den Sanktionierungen
ist, dass die Sanktionen für drei Monate ausgesprochen werden. Und
wenn jemand dann das Verhalten nachholt, was von ihm verlangt wird,
dass er dann zum Beispiel zu einem Bewerbungsgespräch geht, dass er
eine Qualifizierungsmaßnahme aufnimmt, dann wird die Sanktion nicht
zurückgenommen, sondern sie bleibt im Grunde als Strafe. Also das
Anreiz-System, was mit den Sanktionen eigentlich verbunden sein soll,
funktioniert nicht, weil es keine Belohnung gibt, dafür dass jemand
sein Verhalten tatsächlich verändert.“

Das Politikmagazin veröffentlicht auf www.reportmainz.de die
Interviews mit Antje Helbig und Werner Hesse, zusammen mit einer
Reportage über Bernd Hennemann, der monatelang zu 100 Prozent
sanktioniert war und dabei seine Wohnung verlor. Hennemann erhielt
zwischen dem 2. November und dem 3. Dezember nicht einmal
Lebensmittelgutscheine.

Weitere Informationen finden Sie unter www.reportmainz.de. Zitate
gegen Quellenangabe frei. Fragen bitte an „Report Mainz“, Tel.
06131/929-33351.