Ein Kommentar von Thomas Reisener:
Der Streik der Lotsen am Frankfurter Flughafen macht erneut die
Tragweite des Urteils bewusst, mit dem das Bundesarbeitsgericht im
Sommer 2010 die bis dahin übliche Praxis gekippt hat: Früher
schlossen Unternehmen mit der jeweils größten Gewerkschaft im Haus
einen Tarifvertrag ab, der für alle Mitarbeiter galt. Mit dem Urteil
wird nun zur Regel, was vorher Ausnahme war: Jetzt soll jede auch
noch so kleine Gewerkschaft autonom für die Löhne ihrer Mitglieder
kämpfen – unabhängig vom Rest der Belegschaft. Davon profitieren vor
allem kleine Berufsgruppen in Schlüsselpositionen: Lokführer,
Krankenhausärzte, Piloten, Flugbegleiter und Vorfeldlotsen können
jetzt leichter auch extreme Forderungen durchsetzen, die früher
aufgrund der Gültigkeit für die gesamte Belegschaft unbezahlbar
gewesen wären. Das Urteil hat zwar die Konkurrenz unter den
Gewerkschaften gefördert und auch das bisweilen gefährliche
Machtpotenzial von Riesen-Gewerkschaften wie verdi oder der IG Metall
relativiert. Inzwischen werden aber auch seine Schattenseiten
deutlich: Die Solidarität der Arbeitnehmerschaft weicht sichtbar auf,
und die gewachsene Zahl der Konfliktlinien in den Betrieben führt zu
mehr Streiks, die – wie derzeit in Frankfurt – uns allen schaden.
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