Bundespräsident Christian Wulff hat sich für
ein Ende mit Schrecken und gegen einen Schrecken ohne Ende
entschieden. Damit tut er dem Amt, dem Land und sich einen
überfälligen Gefallen. Woran ist Wulff gescheitert? Er hat das
höchste Staatsamt durch eine Vielzahl zum Teil lächerlicher, aber
eben nicht lässlicher Fehler in eine Situation gebracht, in der es
vom Hauch der Korruption umweht wurde. Natürlich muss Wulff bis zum
Beweis des Gegenteils als unschuldig gelten, aber er ist nicht
schuldlos daran, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik
auf Antrag eines in diesem Falle gewiss nicht übereifrigen
Staatsanwalts gegen einen Bundespräsidenten ermittelt wird. Wulffs
Umgang mit der Affäre bis hin zu seiner Rücktrittserklärung belegt,
dass er die Bedeutung der Vorwürfe und damit die seines Amtes nie
wirklich verstanden hat. Für ihn gelten die Gesetze wie für jeden
anderen Staatsdiener. Zwar ist ein Bundespräsident auch nur ein
Mensch, aber die Bürger erwarten ein Vorbild und kein Abbild ihrer
schlechten Eigenschaften. Wulff ist auch nicht Opfer einer
Medienkampagne, wie er suggeriert und wie von seinen wenigen
verbliebenen Verteidigern unterstellt wurde. Er hat den Medien erst
den Anlass geliefert, ihrer Aufgabe nachzukommen und die Mächtigen zu
kontrollieren. Er hat durch sein taktisches Verhältnis zur Wahrheit
immer neue Fragen provoziert und Vertrauen verspielt. Zu
unglaubwürdig und bar jeder Lebenserfahrung waren die Ausflüchte
dieses angeblich notorischen Barzahlers. Die Berichterstattung über
den Fall Wulff mag ähnlich geklungen haben, gleich geschaltet war sie
nie. Noch in dieser Woche berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ über
einen Vermerk Wulffs, der ihn in einem Teil der Affäre entlaste. Der
einzige Schönheitsfehler: Der Vermerk stammte aus dem Jahr 2009, der
Vorgang, um den sich die Vorwürfe drehten, dagegen aus dem Jahr 2007.
Was beweist, dass in ihrem Übereifer auch Zeitungen, Fernsehen, Radio
und Online-Dienste in der Affäre nicht immer das beste Bild abgaben.
Was braucht es nach Wulff? Deutschland bekommt den dritten
Bundespräsidenten binnen zwei Jahren. Wir haben keine Staatskrise;
jedoch drohen wir in eine Staatsverdrossenheitskrise zu laufen:
verdrossen über die politische Klasse und ihre verloren geglaubten
Qualitäten, verdrossen über ein Parteiensystem, das zunehmend
Rohrkrepierer vom Schlage Köhler, zu Guttenberg oder Wulff
produziert. Das ist gefährlich. Viele rufen nun nach der Direktwahl
des Bundespräsidenten, dem Ende des Parteienstaates, einer
vermeintlich neutralen Persönlichkeit an der Spitze. Das Amt des
Bundespräsidenten aber sollte nicht entpolitisiert und zum Grüßaugust
umfunktioniert werden. Dazu gehört auch, dass Parteien nach
politischer Opportunität Kandidaten suchen. Es ist ein Trugschluss zu
glauben, ein aus sich heraus strahlender Charismatiker allein könnte
das Amt so gestalten, dass es Wirkung entfaltet. Jeder Präsident wird
immer einen politischen Resonanzboden benötigen, zumal in Zeiten
großer internationaler Krisen und angesichts des bröckelnden Kitts,
der unsere Nation zusammenhält. Er braucht jedoch nicht nur Partei,
sondern auch Persönlichkeit, um sich die Unterstützung seiner
Kritiker erobern zu können, siehe Herzog oder von Weizsäcker. Es ist
dennoch ein Vorteil, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel durch die
knappen Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung dieses Mal
einen Fehler nicht zum dritten Mal wiederholen kann: Mit Köhler und
Wulff kürte sie zweimal ihre Kandidaten ausschließlich aus
parteipolitischen Motiven. Beide scheiterten. Bemerkenswerterweise
und zum Verdruss der Opposition kreiden die Bürger das Merkel allen
Umfragen zufolge nicht negativ an. Das dürfte daran liegen, dass vor
allem Wulffs Defizite so offen zutage traten, dass aller Unmut ihn
unmittelbar traf. In der Wulff-Krise muss Merkel dieses Mal einen für
Rot-Grün akzeptablen Konsenskandidaten vorschlagen. Entgegen dem weit
verbreiteten Eindruck gibt es in Berlin wie den Ländern respektable
Persönlichkeiten, die das Amt des Bundespräsidenten ausfüllen
könnten. Zumal es nach einem Wulff keinen Wunderheiler braucht, um
dem Amt Würde und damit Einfluss zurückzugeben. Gesucht wird eine
integre Persönlichkeit mit seriösem Auftreten und der Fähigkeit, die
Menschen für sich einzunehmen. Somit könnte aus dem Rücktritt
Christian Wulffs doch noch die Chance erwachsen, die mit seiner Wahl
vor knapp zwei Jahren vergeben schien.
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