Pressemitteilung
Kein Schutz gegen Flugzeugabsturz – Alle Reaktoren mit
Sicherheitsmängeln unter Fukushima-Bedingungen –
Reaktorsicherheitskommission spielt Entscheidung über
Abschaltreihenfolge zurück an die Politik – Deutsche Umwelthilfe:
„Pauschale Laufzeitbegrenzung sauberste Lösung“
Die ältesten Atomkraftwerke in Deutschland sind dem zufälligen
oder gezielten Absturz einer Passagiermaschine mit anschließendem
Kerosinbrand nahezu schutzlos ausgeliefert. Doch auch modernere
Reaktoren halten voraussichtlich nicht Stand, wenn ein großes
vollbetanktes Zivilflugzeug gezielt auf sie stürzt. Mit diesem Befund
bestätigt die Reaktorsicherheitskommission der Bundesregierung (RSK)
frühere Studienergebnisse, die nach den terroristischen Angriffen des
11. September 2001 ermittelt wurden. Jenseits der bereits Mitte März,
unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima stillgelegten
ältesten Reaktoren, liefert die gestern vorgestellte
RSK-Stellungnahme zur „Robustheit“ der Sicherheit aller 17
Atomkraftwerke jedoch keine schlüssige Abschaltreihenfolge für die
verbleibenden Reaktoren. Das Bild der Sicherheit bleibt diffus: Kein
Reaktor erhält unter allen von der RSK begutachteten Aspekten gute
Noten, keiner nur schlechte.
„Die neue Lehre aus Fukushima ist offenbar die alte: Es kann
überall passieren und jederzeit“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer
Rainer Baake. Der Versuch der AKW-Betreiber, ihre Kraftwerke in der
Vergangenheit statt mit teuren baulichen Maßnahmen mit preisgünstigen
Nebelwerfern („Vernebelungskonzept“) gegen gezielte Angriffe aus der
Luft zu sichern, bis Militärmaschinen vor Ort eintreffen würden, sei
2006 endgültig gescheitert, als das Bundesverfassungsgericht den
Abschuss von Flugzeugen mit unbeteiligten Passagieren für
verfassungswidrig erklärte. Die Bundesregierung habe die
„schutzlosen“ Altreaktoren Mitte März zu Recht unter Hinweis auf
gezielte Flugzeugabstürze stillgelegt. Wer dies aber tue, müsse
konsequenterweise auch darauf „reagieren, dass die RSK keinem der
verbliebenen Reaktoren einen Persilschein ausstellt“. Nachweise, dass
die Reaktoren den Absturz mittlerer Passagiermaschinen standhalten,
gebe es nicht. Sicher sei, dass keiner der Reaktoren, einen Treffer
mit einer großen Verkehrsmaschine überstehe. Deshalb müsse die
Regierung den Betreibern dieser Reaktoren eine Frist setzen, in der
die Anlagen wirksam gegen einen Absturz gesichert oder aber
abgeschaltet werden müssen. Es wäre willkürlich, wegen der Gefahr
eines Flugzeugabsturzes die sieben ältesten Reaktoren sofort
abzuschalten, bei den jüngeren AKW die Risiken aber zu ignorieren.
Der RSK-Stellungnahme ist nicht nur der enorme Zeitdruck
anzumerken, unter dem die Experten standen. „In der gesetzten Frist
war eine seriöse Sicherheitsüberprüfung aller 17 Reaktoren nicht im
Ansatz zu schaffen“, erklärte der Reaktorsicherheitsexperte Wolfgang
Renneberg vom Büro für Atomsicherheit in Bonn. Das mit dem Betrieb
der deutschen Kernkraftwerke verbundene Risiko werde durch den
RSK-Bericht nicht ausgewiesen. Der so genannte Stresstest sei deshalb
„als Grundlage einer gesellschaftlichen Entscheidung über die
Kernenergie unbrauchbar“. Stattdessen hätte die Bundesregierung ihren
Sicherheitsexperten von der RSK den Auftrag erteilen sollen, die
deutschen Atomkraftwerke im Licht von Fukushima aber auf Basis des
aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik zu bewerten, wie es
das geltende Atomgesetz vorschreibe. Dabei hätten sich möglicherweise
zahlreiche Defizite und Abweichungen ergeben, die als Grundlage für
ein Ausstieggesetz hätten dienen können.
Eine systematische und umfassende Prüfung habe weder stattgefunden
noch in der Kürze der Zeit stattfinden können. Diese Herangehensweise
begünstige insbesondere alte Anlagen, in denen zum Ausgleich ihrer
schwächeren Sicherheitsauslegung zusätzlich Maßnahmen zur
Beherrschung von Notfallmaßnahmen vorgesehen seien, die es nach der
zugrundeliegenden Sicherheitsphilosophie gar nicht geben sollte.
Renneberg: „Im Ergebnis entspricht die Methodik einer
Sicherheitsüberprüfung von Passagierflugzeugen, bei der eine
altersschwache Maschine mit unzuverlässigen Triebwerken deshalb gut
abschneidet, weil es noch Fallschirme an Bord gibt“.
Die RSK selbst weise darauf hin, dass „verschiedene Ansätze in den
Bewertungskriterien nicht systematisch hinsichtlich ihrer Konsistenz
untereinander sowie im Hinblick auf ihre Bedeutung für das bestehende
gestaffelte Sicherheitskonzept der Anlage überprüft werden“ konnten,
erläuterte Baake. Deshalb sei es nicht möglich „aus dieser
Stellungnahme eine in sich schlüssige Abschaltreihenfolge jenseits
der sieben Altreaktoren zu destillieren“, sagte der
DUH-Geschäftsführer auch mit Blick auf vorab bekannt gewordene
Vorstellungen der ebenfalls von der Bundesregierung einberufenen
Ethikkommission. Darin hatte die so genannte Töpfer-Kommission
angeregt, die Reaktoren „schnellstmöglich in der Reihenfolge ihres
verbleibenden Risikos …“ abzuschalten.
Mit Blick auf eine zu erwartende Verfassungsklage der
AKW-Betreiber gegen ein Abschaltgesetz mahnte Baake eine schlüssige
Lösung an. „Der RSK-Bericht hat bestätigt, dass auch alle deutschen
Reaktoren erhebliche Sicherheitsdefizite diesseits und jenseits der
Schwelle zum Restrisiko aufweisen. Alle Atomkraftwerke sollten
deshalb im Rahmen eines Atomausstiegsgesetzes mit einer pauschalen
Laufzeitbeschränkung als Kern abgeschaltet werden. Unser Vorschlag
lautet: 28 Jahre.“ Damit würden die derzeit stillgelegten Reaktoren
auch nach Ende des Moratoriums vom Netz bleiben. Noch in diesem Jahr
ginge das AKW Grafenrheinfeld vom Netz, im kommenden Jahr liefe die
Laufzeit des ohnehin kalten AKW Krümmel aus. Als letztes Kraftwerk
würde im Frühjahr 2017 Neckarwestheim 2 abgeschaltet.
Eine Übersicht der Ergebnisse für die einzelnen Reaktoren sowie
die Bewertung des Stresstests finden Sie unter:
http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2592DUH
Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe, Hackescher
Markt 4, 10178 Berlin; Mobil: 0151 55016943, Tel.: 030 2400867-0,
E-Mail: baake@duh.de
Wolfgang Renneberg, Büro für Atomsicherheit, Mobil: 0151 40306928;
www.atomsicherheit.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin; Mobil: 0171 5660577, Tel.: 030 2400867-0, E-Mail:
rosenkranz@duh.de