Für Recep Tayyip Erdogan ist das Oben und das
Unten klar geregelt. Folglich sieht der türkische Ministerpräsident
Widerspruch zu seinem Weltbild als persönlichen Angriff. Manche sehen
in ihm den brillanten Rhetoriker, andere den schamlosen Demagogen.
Dass aber Politik in einem Land, das modern sein möchte,
gleichbedeutend sein muss mit der Suche nach dem Kompromiss, scheint
ihm so fremd wie öffentliches Händchenhalten. Nach den Protesten
gegen seine Betonherrschaft poltert er nun vom Ende der Toleranz
gegenüber jenen, die gegen ihn in Istanbul, Izmir und Ankara auf die
Straße gehen. Die hektischen Reaktionen eines verstörten Herrschers
zeigen, dass dieses Land mit einem wie Erdogan an der Spitze
definitiv nicht in die EU gehört.
Denn die vielfältige Zivilgesellschaft der Türkei, ihr Reichtum an
Debatten und Meinungen, manifestieren sich fast nur in den großen
Städten, an den Universitäten, in den Cafés und Salons. Draußen auf
dem Land und auch unter manchen Türken hierzulande gilt Erdogan
weiterhin als Lichtgestalt. Der Mann sieht sich als Nachfolger von
Staatsgründer Kemal Atatürk, als Retter der Türkei nach Jahrzehnten
des Niedergangs unter Militärdiktaturen.
Auch hier in Deutschland gilt Erdogan manchem immer noch als der
Mann, der die Türken wieder stolz gemacht hat. Eine Ravensburger
Friseurin mit türkischem Pass und schwäbischem Akzent bezeichnet ihn
schwärmerisch als ihren Helden. Der Busfahrer in einem Istanbuler
Vorort verehrt Erdogan ebenso wie der Bauer in Ostanatolien. Weil sie
ein besseres Leben haben, seit Erdogans Partei für Gerechtigkeit und
Fortschritt (AKP) das Sagen hat. Sie verherrlichen den Mann, der ein
beispielloses Wirtschaftswachstum eingeleitet hat und nun viele
seiner Errungenschaften einzureißen droht.
Wer hier in Deutschland meint, all das sei weit weg, der irrt. Es
ist nebenan. Fragen Sie mal Ihre türkischen Nachbarn und Kollegen,
die über den richtigen Weg für die Türkei debattieren. Die türkische
Gemeinde hier ist so vielfältig wie die Gesellschaft daheim.
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