Ein Brandbrief entzweit die deutschen
Wirtschaftswissenschaftler. Leidenschaftlich streiten die wichtigsten
Gelehrten des Landes darüber, welcher Weg der richtige ist, um den
Euro zu retten. Eine Gruppe stellt sich gegen die Bundeskanzlerin:
Jene Volkswirte sehen in einer europäischen Bankenunion ein
unkalkulierbares Risiko für die deutschen Steuerzahler. Die andere
Fraktion schlägt sich auf die Seite Angela Merkels und will mehr
Europa wagen.
Grundsätzlich ist es erfreulich, wenn Professoren ihre
Schreibstuben und Hörsäle verlassen und sich in die Politik
einmischen. Dann aber bitte mit guten Argumenten und nicht als
Angstmacher.
Die 172 gelehrten Kritiker Merkels betragen sich wie politische
Propagandisten. Sie schüren Unbehagen in der Bevölkerung und stiften
Verwirrung. Sie arbeiten mit Unterstellungen, nationalen Klischees
und dumpfen Vorurteilen. Sie verleihen ihrem Pamphlet einen
unangenehm pathetischen und überdies weinerlichen Unterton. Lösungen
bieten sie nicht.
Statt als kühle Analytiker erscheinen die Gelehrten als aufgeregte
Heißsporne. Genau deshalb haben sich etliche renommierte Ökonomen
auch geweigert, den offenen Brief zu unterzeichnen: Er ist ihnen
vermutlich zu emotional und zu polemisch.
Das Pamphlet der aufgewühlten Professoren belegt abermals, dass
die Kanzlerin allein dasteht. Selten zuvor bedurfte eine
Bundesregierung so dringend kluger Ratgeber mit wirtschaftlichem
Sachverstand. Stattdessen aber führen die Nationalökonomen seit
Ausbruch der Finanzkrise öffentlich vor, dass sie selbst den Kompass
verloren haben. Ihre wirklichkeitsfernen Rechenmodelle versagten
dabei, den Kollaps des Bankensystems vorherzusagen. Ihre Theorien
taugen nicht, der Probleme Herr zu werden.
Merkel sieht sich im vierten Jahr der Finanzkrise einem
vielstimmigen Chor sogenannter Experten gegenüber, der Hü und Hott
zugleich ruft – und Lösungen schuldig bleibt. Sie tut gut daran,
Brandbriefe derartiger Fachleute zu ignorieren.
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