Südwest Presse: KOMMENTAR zu BUNDESPRÄSIDENT Ausgabe vom 17.02.2012

KOMMENTAR zu BUNDESPRÄSIDENT

Ausgabe vom 17.02.2012 Kein Amt in Deutschland hängt so sehr an
der persönlichen Integrität des Amtsinhabers wie das des
Bundespräsidenten. Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind notwendige
Voraussetzungen. Christian Wulff hatte beides verloren. Sein
Rücktritt war überfällig, seine Begründung richtig. Ob am Ende
rechtsbrüchig oder nicht: Er konnte das höchste Amt im Staate nicht
mehr richtig wahrnehmen. Die Wirkmöglichkeiten waren nachhaltig
beeinträchtigt. Er wurde nicht mehr vom Vertrauen einer breiten
Mehrheit der Bürger getragen. Das stimmt. Nachkarten erübrigt sich.
Gewiss, Wulff hätte früher die Notbremse ziehen sollen. Der Posten
des Staatsoberhauptes hat Schaden genommen. Von Staatskrise kann
freilich ebenso wenig die Rede sein wie davon, das Amt infrage zu
stellen. Es ist ramponiert, aber nicht überflüssig. Im Gegenteil. Hat
uns nicht die Krise Wulff noch mehr als weiland die um Horst Köhler
vor Augen geführt, wie hoch zurecht der Anspruch an das höchste Amt
im Staate ist? Wer wieder und wieder den kleinen Vorteil sucht, der
hat ein kleines Gemüt. Der kann keine Ruckreden halten. Moral und
Appell, intellektuelle Führung, Haltung und überparteilicher Impuls
aus dem Amt heraus sind eben nichts als leere Hüllen ohne die
persönliche Glaubwürdigkeit des Amtsinhabers. Darauf kommt es nun an.
Das Land braucht einen klugen Kopf, eine glaubwürdige
Integrationsfigur als Staatsoberhaupt. Gerade jetzt. Gerade in
Zeiten, in denen Europa streitet, in denen Finanzmärkte den Takt
vorgeben, in denen Staatsschulden der Politik das Drehbuch liefern.
Bundeskanzlerin Angela Merkel will nun Gespräche auch mit SPD und
Grünen führen, um einen gemeinsamen, untadeligen Kandidaten
vorschlagen zu können. Das ist zwar mutig – die bloße Ankündigung
macht abhängig von gutem Willen und staatsmännischer Größe der
Opposition. Es ist aber unabweislich. Die schwarz-gelbe Mehrheit ist
zu fragil, die Gemengelage in der Bundesversammlung zu
unübersichtlich, um ein drittes Mal einen Kandidaten durchboxen zu
können. Kein Wunder also, dass erneut Joachim Gauck ins Spiel kommt.
Würde er wollen, käme er infrage ohne peinliches Gezerre. Den
parteilosen Theologen und einstigen Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde
hat die SPD schon einmal vorgeschlagen. Jetzt will ihn die Nord-FDP.
Ein Grüßonkel ist Gauck gewiss nicht. Alles andere als das. Und der
Kanzlerin würde die Kehrtwende am Höhepunkt der eigenen Umfragewerte
kaum wirklich schaden.

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Lothar Tolks
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