Südwest Presse: Kommentar zur Arzneimittelvergabe

Eine bunte Pille, und schon sind alle Probleme wie
weggeblasen – dieses Rezept hört sich zu schön an, um wahr zu sein.
Bei Frauen wird es offenbar besonders häufig angewandt. Wie sonst
wäre zu erklären, dass sie zwei- bis dreimal so häufig Psychopharmaka
verordnet bekommen als Männer. Dass das angeblich schwache Geschlecht
so viel mehr mit psychischen Problemen zu kämpfen haben soll, klingt
wenig plausibel. Sie geben sie nur häufiger zu – gegenüber sich
selbst und gegenüber ihrem Arzt. Mediziner reagieren gereizt, wenn
sie den Vorwurf hören, sie würden zu schnell und zu wenig überlegt
zum Rezeptblock greifen, zur scheinbar einfachen Therapie aus der
Küche der Pharmaindustrie. Aber die Ergebnisse des
Arzneimittelreports der Barmer GEK lassen sich schwerlich bestreiten.
Sie sind eine Folge unseres Gesundheitssystems: Ärzte arbeiten unter
hohem Druck. Zeitaufwändige Gespräche mit Patienten, die so manches
Medikament ersetzen könnten, werden kaum honoriert. Psychotherapeuten
können der sinnvollere Weg sein. Doch ihre Wartelisten sind lang.
Pillen sind billiger – und scheinbar einfacher. Zudem macht ein Heer
von Pharmareferenten sie den Ärzten schmackhaft. Vorwürfe helfen
wenig. Wichtig ist vielmehr das Problembewusstsein auf allen Seiten.
Ärzte müssen sich verstärkt mit der Materie beschäftigen – und
Patienten von der Erwartung Abschied nehmen, dass mit ein paar Pillen
alles gut ist.

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Südwest Presse
Lothar Tolks
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