Es mindert das Mitgefühl mit den gleich von mehreren
Katastrophen heimgesuchten Japanern keineswegs, wenn wir uns in
Deutschland nicht damit begnügen, die Opfer der Erdbeben zu betrauern
und dem gebeutelten Land technische Hilfe anzubieten. Natürlich wirkt
die Frage, ob unsere Atommeiler denn im Ernstfall allen erdenklichen
Gefahren trotzen würden, fast schon provozierend geschäftsmäßig
angesichts des unvorstellbaren Leids der Menschen in den
Notstandsregionen Japans. Doch schweigen dürfen auch in dieser Stunde
weder die Politik noch die Gesellschaft. Es geht schließlich darum,
welche Bedrohungen und Belastungen wir als offenbar unabweisbaren
Preis für Wohlstand und Entwicklung hinzunehmen bereit sind – und
welche eben nicht. Diese Debatte muss jetzt geführt werden, selbst
wenn auf sie der Schatten vordergründiger Wahlkampfscharmützel fällt.
So oder so strahlt der radioaktive Niederschlag von Fukushima
politisch bis nach Europa aus, unabhängig vom Terminkalender der
Parteien in der Bundesrepublik. Die Wirklichkeit erweist sich wieder
einmal als stark genug, alle Schutzvorkehrungen und
Sicherheitsgarantien über den Haufen zu werfen. Das reale Restrisiko
triumphiert auf erschreckende Weise über die vermeintlich komplette
Beherrschbarkeit der Technik durch den Menschen. Es wäre eine
verhängnisvolle Illusion zu glauben, dass diese Erfahrung nur für
andere Teile der Welt gilt. Diese Lektion sollten wir schon 1986
gelernt haben, als der Reaktor von Tschernobyl in die Luft flog.
Insofern braucht man die schwarz-gelbe Koalition auch nicht zu
bedauern. Sie steht zwar vor dem Dilemma, dass sie kurzfristig auf
ein Ereignis reagieren muss, das sie nicht verschuldet hat. Aber die
Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atommeiler hat diese
Bundesregierung in eigener Verantwortung beschlossen, gegen den
Mehrheitswillen der Bürger und gegen den Rat der meisten Experten.
Angela Merkel wollte mit der Einlösung eines Wahlversprechens
Handlungsfähigkeit beweisen und ihren Machtanspruch untermauern. Nun
aber zieht sie die Reißleine und hat ein Problem mit der
Glaubwürdigkeit ihrer Politik. Dabei ist der Bundeskanzlerin nicht
vorzuwerfen, dass sie im Lichte des Fallouts von Japan ihre
Atompolitik auf den Prüfstand stellt und bereit ist, das Gesetz zur
Laufzeitverlängerung wieder einzukassieren. Selbst wenn die
Opposition der CDU-Vorsitzenden bei diesem Kurswechsel
wahlstrategische Überlegungen vorwirft, bleibt es Merkels vornehmste
Pflicht, Schaden von diesem Land abzuwenden und notfalls Positionen
zu räumen, mit denen sie und ihre Parteifreunde nicht zuletzt auch in
Baden-Württemberg vor das Wahlvolk treten wollten. Dass Union und FDP
damit ihre Anhänger verwirren und konkurrierenden Parteien in die
Hände spielen, lässt sich nicht vermeiden, wenn es der Koalition denn
ernst ist mit den vorrangigen Sicherheitsinteressen der Menschen. Es
war ein Fehler, den Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg als
schwarz-gelbe Machtdemonstration durchzusetzen, noch dazu unter
faktischer Ausschaltung des Bundesrats. Freilich ist es besser, auf
einem politischen Irrweg noch rechtzeitig umzukehren, als erst durch
ein verheerendes Unglück zur Vernunft gebracht zu werden. Zu warnen
ist die Kanzlerin allerdings davor, mit dem atompolitischen
Moratorium nur Zeit zu gewinnen, um einigermaßen glimpflich über die
nächsten Wahltermine zu kommen. Ein taktisches Verhältnis zu Wahrheit
und Ehrlichkeit wird sich nicht auszahlen, schon gar nicht in einer
Grundsatzfrage existenzieller Zukunftsvorsorge.
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Lothar Tolks
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