WAZ: Hoffnung für Christian Wulff – Kommentar von Miguel Sanches

Es ist viel zu ernst und kein Kartenspiel, aber den
Schwarzen Peter hat die Staatsanwaltschaft schon. Die Beweislage
gegen Christian Wulff ist offenbar dünn. Ob Anklage erhoben wird oder
nicht, die Justiz wird es niemandem recht machen können. Es ist nicht
mal ein Jahr her, dass sie die Aufhebung der Immunität des
Bundespräsidenten beantragte: wegen Verdachts der Vorteilsnahme.
Juristisch gehörte nicht viel dazu, ein Anfangsverdacht. Für Wulff
hatte es den Rücktritt zur Folge. Er stand am Abgrund und sah sich
gedrängt, einen Schritt weiter zu gehen. Es heißt nun, mangels
Beweisen bleibe ihm der Prozess erspart. Eine Anklage darf nicht
unverhältnismäßig sein. Gilt das nicht längst genauso im umgekehrten
Fall? War es nicht unverhältnismäßig, so lange am Verfahren
festzuhalten? Die „Zeit“ hat Bilanz gezogen. Die Zahlen: 24
Sonderermittler, fast 100 Zeugen, 380 Aktenordner, 20.000 Blatt
Papier. 45 Bankkonten wurden ausgewertet, 37 Telefonanschlüsse
überprüft und drei Staaten um Rechtshilfe ersucht. Spätestens hier
ist der Zeitpunkt gekommen, innezuhalten und sich zu vergewissern,
worum es geht. Um die Hotelrechnungen für ein paar Übernachtungen auf
Sylt, einige Tausend Euro. Es geht darum, ob sich Wulff von einem
Filmproduzenten aushalten ließ. Unter anderem. Es gab viele Dinge,
mit denen er sich – politisch – unmöglich gemacht hat. Aber seit
seine Schwiegermutter erklärte, sie habe das Geld ausgelegt, mit dem
Wulff dem Produzenten Rechnungen erstattete, war die Entlastung
wasserdicht. Es heißt, es gebe „Restzweifel“. Man kann mit den
Staatsanwälten fühlen. Der Druck war groß. Hätten sie die Vorwürfe
auf die leichte Schulter genommen, hätte man vom Promi-Bonus
gesprochen. Nur mit dem ultimativen Beweis gegen Wulff würde die
Justiz um jede Manöverkritik herumkommen. Wird mangels Beweisen keine
Anklage erhoben, wird das Wort vom Freispruch 2. Klasse die Runde
machen. Wulff zahlt so oder so einen hohen Preis. Man möchte auch
nicht in der Haut Olaf Glaesekers stecken – Wulffs Ex-Sprecher. Auch
gegen ihn laufen Ermittlungen. Irgendeiner muss doch noch büßen, oder
etwa nicht?

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