Ist ein Kratzer am Auto schlimmer als ein Kratzer am
Körper? Die Frage mutet zynisch an, spiegelt aber deutsche
Rechtsprechung. Denn die wirkt bei der Bewertung eines Menschenlebens
im Vergleich zu Eigentum zuweilen durchaus mittelalterlich. Wenn ein
Richter einer jungen Frau nun nach einer Vergewaltigung mit besonders
grausigen Begleitumständen 100 000 Euro Schmerzensgeld
zuspricht, dann fragt man sich: Warum musste es in einem
zivilisierten Land so lange dauern? Warum ist der Respekt vor Dingen
größer als vor Menschen? Seelisches Leid ist unermesslich und mit
Geld nicht zu lindern; Geld kann nur helfen, Folgen abzumildern. Aber
es ist überfällig, die Berechnungsgrundlagen ins rechte Verhältnis zu
setzen. Es darf nicht sein, dass ein Gewaltopfer schlechter gestellt
wird als ein Prominenter, der Schadenersatz für ein unerlaubtes
Badehosenfoto einklagt. Kein Mensch will die abenteuerlichen
Schmerzensgeld-Kapriolen aus den USA einführen, wo Verbrühungen aus
überschwappendem Kaffee in einem Schnellrestaurant wie ein Sechser im
Lotto empfunden werden. Aber der gestrige Entscheid war hoffentlich
ein Signal.
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