WAZ: Schwarz-gelbe Bilanz-Kosmetik – Kommentar von Christian Kerl

In Angela Merkels Einmaleins der Machtsicherung
heißt einer der wichtigsten Grundsätze, dass es in der Politik vor
allem aufs „Erwartungsmanagement“ ankommt. In der Koalitionspraxis
heißt das: Je weniger die Bürger von Schwarz-Gelb erwarten dürfen,
desto größer der Spielraum für überraschende Erfolgsmeldungen.
Respekt, Kanzlerin: Beim Koalitionsgipfel hat die Methode perfekt
funktioniert. Wochenlanges Hickhack, Drohungen, Kompromisssuche nach
Art des orientalischen Basarhandels – am hässlichen Vorspiel
gemessen, war das Treffen ein beachtlicher Erfolg. Auf der Habenseite
steht nicht nur, dass endlich die unselige Praxisgebühr wegfällt.
Unerwartet hat sich Schwarz-Gelb auch auf einen steuerfinanzierten
Einstieg in den Kampf gegen Altersarmut verständigt. Zwar werden vom
Koalitionsplan viel zu wenige Rentner profitieren, ein großer Wurf
ist er daher nicht. Aber der Weg für eine vernünftige Lösung ist
vorgezeichnet – die Sozialministerin hat erstaunlich viel
durchgesetzt. Respekt verdiente eigentlich auch die von der FDP
erzwungene Einigung, 2014 die Neuverschuldung gegen null zu drücken.
Indes: Außer dem Willen zur kreativen Buchführung auf Kosten von
Krankenkassen und Staatsbank lässt sich nicht erkennen, wie man das
Ziel erreichen wollte. Noch belastender: Mit dem Sparkurs verträgt
sich das unsinnige Betreuungsgeld überhaupt nicht. Die Kraft, diese
teure Krippen-Fernhalteprämie zu kippen, fehlte der Koalition. Bei
diesen Beschlüssen ist eine politische Linie nicht mehr erkennbar.
Zehn Monate vor den Wahlen ging es mehr darum, Bilanzkosmetik zu
betreiben. Weil die großen Entlastungsversprechen uneingelöst
bleiben, wollte jede Partei wenigstens ein bisschen was für ihre
Klientel tun. Das ist gelungen, immerhin. So hat sich die Koalition
zwar über die nächste Runde gerettet, was schon mehr ist, als viele
erwarteten. Aber ein Befreiungsschlag? Nein. Auch kleine Wohltaten
und cleveres Erwartungsmanagement kaschieren nicht, dass Schwarz-Gelb
der politische Gestaltungswille weitgehend abhanden gekommen ist.

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