WAZ: Wessi-Städte, Ossi-Städte – Leitartikel von Ulrich Reitz

Eine SPD, die sich aufs Spalten verlegt statt aufs
Versöhnen, ist zumindest mal eine neue Erfahrung. Keine gute. Wenn
Ruhrgebietsstädte ihre schwierige Haushaltslage mit den Zahlungen an
die Städte im Osten Deutschlands begründen, ist das nicht nur
oberflächlich, wie dies Wolfgang Thierse seinen eigenen
Parteifreunden bescheinigt hat, es ist auch falsch. Und instinktlos.
Richtig wäre eine ernsthafte Diskussion über die hoch verschuldeten
Städte. Richtig wäre, nachzudenken, wie sie von ihren Zinslasten
herunter kommen, die sie erdrücken. Richtig wäre, über die
Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden nachzudenken.
Und richtig wäre es, hier einen Neuanfang zu machen, weil der Bund
beschließt, was hinterher die Städte bezahlen sollen, aber nicht
bezahlen können. Eine seriöse Diskussion über all das ist natürlich
nicht sexy. Deshalb hat sich die NRW-Ministerpräsidentin entschieden,
aus dem sperrigen Thema einen Wahlkampfschlager zu machen. Im
Wahlkampf wird geholzt und die Wahrheit bleibt auf der Strecke. Der
Slogan, jetzt ist auch mal der Westen dran, hält der Wirklichkeit
nicht stand. Darauf haben ihre ostdeutschen Genossen Hannelore Kraft
und die Revier-Oberbürgermeister auch umgehend hingewiesen. Die
Kommunen im Osten erreichen nur 70 Prozent der Wirtschaftsleistung
von Revierstädten, und Essen ist immer noch weitaus besser dran als
Dresden oder Leipzig. Aus diesem Grund läuft auch die Parole, die
Wirtschaftsförderung nach Bedürftigkeit und nicht nach
Himmelsrichtung auszurichten, ins Leere. Vermutlich würde sich wenig
bis nichts ändern. Das Ganze ist ein durchsichtiges
Sündenbock-Manöver. An dem sich aus diesem Grund der SPD-Vorsitzende
nicht beteiligt. Ginge er in diese Falle, die SPD könnte gleich ihren
gesamtdeutschen Anspruch aufgeben. Schädlich ist die Debatte auch,
weil sie falsche Erwartungen weckt. Die Verteilung der Gelder
zwischen Ost und West ist im Solidarpakt II bis 2019 festgelegt.
Änderungen an dem komplexen Vertragswerk sind unrealistisch. Und
denjenigen, die einen Ruhr-Soli in die Debatte gebracht haben, muss
man sagen, dass es den schon gibt. Die Steinkohle-Subventionen laufen
bis 2018. Fazit: Diese Diskussion verträgt keinen Populismus, weil
sie so viel Spalter-Potenzial in sich trägt. Sie muss seriös geführt
werden. Joachim Gauck wäre als Staatsoberhaupt aus dem Osten der
richtige Moderator. Belehrungen aus dem Revier braucht er dafür
nicht.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 – 804 6519
zentralredaktion@waz.de