Weser-Kurier: Der „Weser-Kurier“ (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 15. Februar 2011 die aktuelle Forsa-Geburtenstudie:

Privatrisiko Kind

von Joerg Helge Wagner

Es stimmt ja leider alles: Kinder sind verbunden mit Verzicht,
Verlust individueller Freiheit, Karriere-Risiken – bei Frauen häufig
auch mit dem Karriereende, wenn es nicht bei einem bleibt. Kinder
kosten Geld, schlafen nicht durch und sind dafür am Wochenende ab
6.30 Uhr glockenwach. Sie verursachen Wäscheberge, pubertieren und
sind auch vorher schon phasenweise unausstehlich. Gesellschaftliche
Anerkennung für die eigenen Reproduktionsbemühungen dürfen Eltern in
Deutschland nicht erwarten. Oder nur dann, wenn sie trotz ihrer
Kinder in der Lage sind, eine eindrucksvolle Karriere hinzulegen.
Etwas, das fast ausschließlich im oberen Viertel der männlichen
Gesellschaft zu beobachten ist. Es gibt also keinerlei Anlass, jene
22 Prozent der von Forsa Befragten als „Egomanen“ zu diffamieren, die
sich in ihrer Lebensplanung ganz bewusst gegen Kinder entscheiden.
Die aggressive Frage „Warum kriegt ihr keine Kinder?“ ist anmaßend,
denn Staat, Wirtschaft und Gesellschaft machen ihnen diese
Entscheidung mehr als leicht. Aber das Elterngeld, die Vätermonate
und Sabbat-Jahre, all die vielen, vielen wohlmeinenden Aktionen und
Initiativen, mag man einwenden. Sie sind fruchtlos im Wortsinne, weil
sie zumeist auf kurzfristige Effekte und nie auf Nachhaltigkeit
setzen. Wenn die mit Abstand meisten Befragten sagen, dass ihre
unsichere finanzielle Lage und/oder die Sorge um den Arbeitsplatz die
Entscheidung für ein Kind erschweren, ist das ein vernichtendes
Urteil über das Konzept Elterngeld. Ein weiteres wurde schon vor
Jahren gefällt: Nach seiner Einführung Anfang 2007 stieg die
Geburtenrate zwar kurz – und minimal – an, brach im Folgejahr aber
wieder auf den Nachkriegstiefststand von 2006 ein. Ja, es liegt nicht
nur am Geld, aber eben auch. Wer nach einjähriger staatlicher
Alimentierung – immerhin mit 3.600 bis 21.600 Euro – wieder arbeiten
muss, kann kaum mit einer baldigen Gehaltssteigerung rechnen. Die
Kinderkosten aber laufen weiter, schlimmer noch: Sie steigen, denn
nun werden Gebühren für einen Krippenplatz fällig – sofern der
überhaupt zur Verfügung steht. In anderen Staaten gilt das Großziehen
von Kindern wenigstens als Ausweis sozialer Kompetenz – zumindest in
den oberen zwei Dritteln der Gesellschaft, also in jenen Schichten,
die das Gemeinwesen maßgeblich erhalten. Natürlich kann der Staat
Unterstützung auf Elterngeld-Niveau nicht bis zur Volljährigkeit der
Sprösslinge leisten. Das wäre ruinös. Es wäre aber auch billig, jetzt
über die Vollkasko-Mentalität der „Generation Praktikum“ zu
lamentieren. Zum einen sind deren Perspektiven wirklich unsicherer
als vor 20, 30 Jahren. Zum anderen stellen sie – völlig zu Recht –
jene Ansprüche an ihren Lebensstandard, die ihnen von ihren Eltern
anerzogen wurden. Zum dritten sind sie mit einem ungleich härteren
Wettbewerb konfrontiert: Heute werden bereits Berufsanfänger
mehrtägigen Bewerbungstests unterworfen. Und viertens beglückt sie
dieser Staat, wenn sie sich denn durchgebissen haben, mit einem
ungerechten, leistungsfeindlichen Steuersystem, in dem die Belastung
überproportional zum Einkommen ansteigt. Familienfreundlich ist das
nicht. Frauenfreundlich übrigens auch nicht: Viele fragen sich nach
dem Wiedereinstieg beim Blick auf den Gehaltszettel, ob die paar Euro
wirklich die Doppelbelastung Beruf und Familie wert sind – und sagen
dann nein. Auch wenn sie ihre Kinder lieben und als beglückend
empfinden: Zur Nachahmung stiften sie die kinderlosen Frauen kaum an.
joerg-helge.wagner@weser-kurier.de

Pressekontakt:
Weser-Kurier
Produzierender Chefredakteur
Telefon: +49(0)421 3671 3200
chefredaktion@Weser-Kurier.de