Man kann Zeitungen gering schätzen. Man kann sie
für langsam halten und für hoffnungslos altmodisch. Man kann vom
großen Zeitungssterben reden oder es herbeireden. Oder es
herbeiführen – beispielsweise durch einen neuen Mehrwertsteuersatz.
Gewiss, die Überlegungen des CDU-Wirtschaftsflügels zu einem
einheitlichen Steuersatz von 17 Prozent trieben auch andere Preise in
die Höhe – so die für Lebensmittel. Erst kommt das Fressen, dann die
Moral, klar. Doch satt zu sein alleine reicht nicht, nicht in einer
Staatsform namens Demokratie. Dem ermäßigten Steuersatz liegen zwei
Gedanken zugrunde. Erstens ein sozialpolitischer, nämlich der der
gerechten Lastenverteilung. Deshalb werden Konsumenten für Waren des
täglichen Gebrauchs wie Brot und Milch weniger Steuern berechnet als
für Schmuck, Schampus und Schnickschnack. Wer sich Schampus leisten
kann, zahlt mehr Steuern. Das ist schlicht, aber klug. Der zweite ist
ein bildungspolitischer Gedanke: für Kulturgüter, für Zeitungen und
Zeitschriften, für Bücher und Theaterkarten werden ebenfalls weniger
Steuern erhoben. Damit mehr Menschen sie sich leisten können – auch
eine schlichte und kluge Überlegung. Dennoch ist das
Umsatzsteuergesetz reformbedürftig. Es hat kuriose Blüten getrieben:
Der Nahverkehr wird mit sieben, der Fernverkehr mit 19 Prozent
besteuert, wobei nach 50 Kilometern aus dem Nah- der Fernverkehr
wird. Bei Babywindeln sind 19 Prozent fällig, bei Trüffel sieben.
Aber eine Reform, die zu einem Einheitssteuersatz von 17 Prozent
führte, strafte Lügen, was so gut wie jeder Politiker für sich als
Ziel reklamiert: Die Schere zwischen Arm und Reich soll sich nicht
weiter spreizen. Bildung soll bezahlbar sein. Bürger sollen
mitdenken, mitreden und mitentscheiden. Dazu nutzen sie Zeitungen.
Auf Zeitungen, einerlei ob auf Papier oder digital verbreitet, kann
sich eine demokratische Gesellschaft stützen. Zeitungen haben kein
Aufsichtsgremium mit politischen Mitgliedern. Zeitungen besetzen
Positionen nicht nach Parteibuch. Sie sind überparteilich,
unabhängig, glaubwürdig. Sie sind dazu da, den Mächtigen auf die
Finger zu schauen und den Ohnmächtigen Anwalt zu sein. Sie befähigen
ihre Leser, Entscheidungen zu verstehen und bei Wahlen Konsequenzen
zu ziehen. Wer will, dass Bürger – quer durch alle Schichten –
verinnerlichen, was das ist, dieses Gemeinwohl, und was jeder
Einzelne dafür tun muss, hat sie dazu gefälligst zu befähigen. Eine
Zwei-Klassen-Gesellschaft aus Bildungsbürgern, deren Wissen sich auf
bezahlte, unabhängige Informationen stützen kann, und aus
Unterprivilegierten, die sich auf RTL II und die Wundertüte Internet
verlassen müssen, kann einer Demokratie nicht guttun. Wer Zeitungen
dazu zwingt, nur noch eine Elite zu bedienen, nimmt das in Kauf.
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