Ein Sitzungsleiter soll neutral sein, er soll
die Rechte jedes einzelnen Teilnehmers durchsetzen. Im Fall des
Bundestages die Rechte jedes einzelnen Abgeordneten. Er soll den
Rednern das Wort erteilen, auf Einhaltung der Redezeiten achten und
insgesamt für faire Abläufe im Bundestag sorgen. Das Präsidium, dem
er angehört, funktioniert als Kollektiv. Kampfabstimmungen kommen
hier so gut wie nie vor, man versucht stets Einigkeit herzustellen.
Es gibt deshalb keinen Grund, das Parlamentspräsidium politisch zu
gewichten, also nach der Stärke der Fraktionen. Oder gar nach
Koalitionen. Mehrheitsverhältnisse sollten keine Rolle spielen, wenn
es um Fairness geht.
Eigentlich müsste es komplett egal sein, welcher Partei ein
Parlamentspräsident und seine Stellvertreter angehören; die gefragte
Qualifikation ist Begeisterung für die Demokratie, nicht Ideologie.
Ganz im Gegenteil, eine nach den Mehrheitsverhältnissen bestimmte
Sitzungsleitung würde sogar den Verdacht erwecken, die Minderheit
solle im Zweifelsfall benachteiligt werden. Jede Fraktion ein
Parlamentsvizepräsident, das war und ist daher eine Regel, die dem
Neutralitätsgebot dieses Jobs am ehesten gerecht wird.
Union und SPD haben das gestern zu ihren Gunsten anders
entschieden und werden diesen Beschluss heute mit ihrer
80-prozentigen Mehrheit im Bundestag kühl durchsetzen. Sie
argumentieren mit der zusätzlichen Arbeitsbelastung durch den
Fortfall des bisher von der FDP gestellten Vizepräsidenten. Aber das
ist ein Scheinargument – so viel haben die Parlamentsvizes denn doch
nicht zu tun. Außerdem entfällt ja nun auch eine komplette Fraktion,
die Arbeit gemacht hat. In Wirklichkeit geht es Union und SPD darum,
zwei weitere Leute aus den eigenen Reihen mit einem lukrativen Job
für vergangene Verdienste zu belohnen. Und dank der Ausweitung der
Zahl der Stellen kann man sich hochnotpeinliche Kampfabstimmungen
dabei ersparen.
Es ist eine Lösung zulasten der Steuerzahler. Außerdem will man
wohl gleich am ersten Tag die neuen Mehrheitsverhältnisse
demonstrieren. Noch bevor sie steht, zeigt die große Koalition also
zunächst einmal ihre dunkle Seite. Warum macht sie das? Weil sie es
kann.
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