Westdeutsche Zeitung: Vom Umgang mit dem künftigen Bundespräsidenten Gauck – Ein Volk von Haar-in-der-Suppe-Suchern? Ein Kommentar von Martin Vogler

Gibt es wirklich so ein typisch deutsches
Phänomen, das sich in Begeisterung an der Demontage Erfolgreicher und
Schadenfreude auslebt? Das Thema Bundespräsident scheint als
Lehrbeispiel dafür zu taugen.

Da hackt erstmal fast das ganze Land auf einem – zugegeben –
ungeschickt agierenden und angreifbaren Christian Wulff herum und
ergötzt sich an echten oder vermeintlichen Verfehlungen, die bei
anderen weniger spannend wären. Glücklicherweise scheint nach seinem
Rücktritt mehr Gelassenheit einzukehren. Man interessiert sich eher
dafür, wie lange er im Kloster bleibt und wie vehement er einen Sieg
von Hannover 96 bejubelt.

Leider scheint sich jedoch das Interesse der
Haar-in-der-Suppe-Sucher dem Mann zuzuwenden, der morgen zum
Bundespräsidenten gewählt wird. Die zumeist immergleichen Gäste
sezieren die Welt des Joachim Gauck in Talkshows. Ist es wirklich von
staatstragender Bedeutung, wie eitel der Mann ist? Wird er ein
schlechter Präsident sein, weil er zum Beispiel evangelisch ist, weil
er ohne Trauschein zusammenlebt, weil er aus dem Osten kommt, weil
ihn die Menschen dort weniger mögen, und weil er angeblich seine
Bedeutung als Bürgerrechtler nachträglich hochspielt? Mit Verlaub,
die Verbissenheit, mit der wir diese Fragen diskutieren, ist
peinlich.

Man darf sich fragen, ob Joachim Gauck der richtige
Bundespräsident ist. In Ordnung. Doch die Wahl für ihn wird mit einer
großen Mehrheit erfolgen – eindeutiger kann er nicht demokratische
legitimiert sein. Zumal es Gegenstimmen nur deshalb gibt, weil die
Linkspartei ein fragwürdiges Zeichen setzt – indem sie eine
Kandidatin ins Rennen schickt, die vor allem dadurch im Bewusstsein
vieler ist, weil sie einen Bundeskanzler ohrfeigte.

Auch in früheren Jahren gab es erfolgreiche Präsidenten, denen
anfangs einige wenig zutrauten. Joachim Gauck muss Gelegenheit
bekommen, sein Profil als Repräsentant, als Impulsgeber und auch als
unbequemer Mahner zu entwickeln. Als Freund der sozialen
Marktwirtschaft kann er Deutschland sehr gut tun, auch wenn er sich
hoffentlich aus dem politischen Tagesgeschäft heraushält. Es wäre
schön, wenn er dem Amt wieder mehr Würde und die Bedeutung verleihen
würde, die ihm zusteht. Wir sollten ihm die Chance und die Zeit dafür
geben.

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