Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Steuersenkungen

Die Griechen haben diese Woche ein schönes Chaos
angerichtet. Doch was Athen kann, kann Berlin schon lange. Am Sonntag
bringt Schwarz-Gelb den x-ten Akt seiner Tragikomödie
»Steuersenkungen« zur Aufführung. Dieses Stück ist in den gut zwei
Jahren dieser Legislaturperiode so oft gelaufen, dass man sich ein
Ende kaum vorstellen kann – erst recht kein gutes. Befeuert wird die
Debatte von neuen Zahlen der Steuerschätzer, die den Staatskassen für
die nächsten Jahre ein sattes Plus versprechen. »Wenn nicht jetzt,
wann dann?«, werden die Steuersenkungsbefürworter also nicht ohne
Grund fragen. »Prognosen sind keine Einnahmen«, werden ihre Gegner
einwenden und auf den dramatischen Schuldenberg verweisen. Doch auch
so ist die Lage im Regierungslager verwirrend genug. Zur Erinnerung:
Noch während Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und
Wirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler in ungewohnter
Eintracht ihren Plan für eine Steuerentlastung vorstellten, legte
CSU-Chef Horst Seehofer sein Veto ein. Stattdessen schlug er die
Senkung des Solidarzuschlags vor. Kanzlerin Angela Merkel ließ
vorsichtig Sympathie erkennen, und plötzlich fand auch die FDP
Seehofers Idee prima. Nun aber stehen die ostdeutschen
CDU-Abgeordneten auf, die den schleichenden Tod des Solis fürchten
und darin ein verheerendes Signal sehen. Klingt kompliziert? Ist es
auch: Schwarz-Gelb mal wieder in Opposition zu sich selbst.
Unbestritten ist zwar, dass die Koalition den Solidarzuschlag anders
als die Einkommenssteuer ohne die Zustimmung des von Rot-Grün
dominierten Bundesrats senken kann. Ebenso unbestritten ist aber
auch, dass damit gerade nicht die Empfänger kleiner und mittlerer
Einkommen entlastet würden, die Schwarz-Gelb am dringendsten
entlasten will. Ganz zu schweigen davon, dass alle Ungerechtigkeiten
des Steuersystems, wie sie die kalte Progression und der
Mittelstandsbauch nun einmal darstellen, komplett unangetastet
blieben. Anders gesagt: »Einfacher, niedriger und gerechter« würde
nix. Doch davon ist längst keine Rede mehr. Für die FDP ist die Not
so groß, dass jeder Beschluss als Erfolg verbucht würde. Bei CSU-Chef
Seehofer ist die Eitelkeit so groß, dass nichts ein Erfolg ist, was
nicht von ihm stammt. Und für Angela Merkel ist nur noch der Wunsch
groß, dass das Thema vom Tisch kommt. Symbolpolitik schlägt so
Sachpolitik. Wo ein Plan fehlt, soll ein Placebo her. Und je näher
das Spitzentreffen im Kanzleramt rückt, desto aberwitziger werden die
Vorschläge. Wenn sich Union und FDP aber noch nicht einmal
untereinander auf einen Kurs verständigen können, wenn ihnen die
Kraft für eine echte Reform fehlt und die Angst vor der Opposition so
immens ist, dann sollten sie ihr Vorhaben besser ganz aufgeben. Keine
Lösung ist im Zweifel immer noch besser als eine schlechte Lösung –
gerade in der Fiskalpolitik. Das wenigstens könnte Schwarz-Gelb aus
dem Debakel um die Hotelsteuer gelernt haben.

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