Vielleicht sollte man öfter Wetten gegen die
landläufige Meinung abschließen. Die Wiederwahl Philipp Röslers beim
FDP-Parteitag, und das mit 85,7 Prozent, wäre eine Gelegenheit
gewesen, um Kapital aus billiger Meinungsmache zu schlagen. Bis zum
Wahlabend in Niedersachsen galt der Vizekanzler in der Politik als
Verlierer und bei den Comedians in TV und Radio als Witzfigur. Top,
die Wette gilt. Demütig und zielstrebig zugleich hat Rösler es allen
gezeigt, vorneweg Rainer Brüderle. Der hatte zwar den Mund spitz
gemacht, aber sich nicht zu pfeifen getraut, als ihm der
Parteivorsitz angeboten wurde. Seit gestern ist Röslers Coup
komplett. Beim Personalparteitag lief alles nach Plan. Der Rivale
wurde geschickt in die Pflicht genommen als Spitzenkandidat für die
liberale Sache bei der Bundestagswahl. Dirk Niebel ist aus dem
Präsidium weggebissen, weil er beim Dreikönigstreffen am deutlichsten
sagte, was viele dachten, aber fortan nicht mehr wiederholen werden.
Und schließlich wurde Christian Lindner, Röslers einst abgesprungener
Generalsekretär, zwar zum Vize gewählt. Aber dessen mäßiges
Wahlergebnis unterbindet alle Spekulationen, hier kehre ein
heimlicher Parteivorsitzender in die Bundeszentrale zurück. Ganz
klar: Hätte Lindner ein an hundert Punkte heranreichendes Ergebnis
erzielt, dann würden genau diese Debatten jetzt und auf lange Zeit
noch geführt. Die Niedersachsenwahl hat den Ausschlag zum Umdenken
gegeben. Was allein zählt, ist »auf dem Platz« – und das ist in der
Politik die Wahlkabine: drei Prozent für die FDP in Umfragen noch
Anfang Januar und dann das 3,3-Fache beim Urnengang wenige Tage
später. Das beschämt nicht nur die Zunft der Wahlforscher, das macht
auch die Liberalen wieder zuversichtlich. Schon in Schleswig-Holstein
und in NRW waren die Landtagsergebnisse für Blau-Gelb rosarot. Heute
wissen wir, das war kein Kubicki- oder Lindner-Effekt. Am 20. Januar
wurde endgültig klar, dass es sich bei dem extremen Abstand des
FDP-Wertes zwischen der Vorhersage dem realen Wählervotum um eine
handfeste Krise der Demoskopie handelt. Liberaler zu sein, das klang
zumindest in Radio-Shows und bei den Kabarettisten in den vergangenen
Monaten nach verfolgter Minderheit. Insbesondere Rösler wurde nicht
selten unterschwellig als der kleine Asiate hingestellt. Deshalb
vermuten die Umfrageforscher, dass ihnen die Sonntagsfrage mitunter
nicht ehrlich beantwortet wurde. Begründung: Menschen stellen sich
nicht gerne gegen den Trend. Soweit die Erklärung der zutiefst
verunsicherten Meinungsforscher. Rösler, Brüderle und Mitstreitern
kann das ziemlich egal sein. Im kommenden Bundestagswahlkampf müssen
sie weder das ZDF-Politbarometer noch die anschließende Heute-Show
fürchten. Denn alle haben gelernt, die FDP ist noch nicht
abgeschrieben. Wetten, dass…?
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