Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Rechtsterrorismus

Als ich als kleiner Junge Marken auf meine
ersten selbstgeschrieben Briefe pappte, prangten sie über mir an der
Glasscheibe: die Terroristen. Wie bei uns an der Ecke erinnerten die
Ermittler in jedem Postamt daran, wie die aussehen, denen Morde und
Anschläge angelastet werden. Deswegen hätte ich zwar nicht unbedingt
Christian Klar auf der Straße erkannt; aber bundesweit bestand
immenser Fahndungsdruck auf die linken Terroristen. Wie dagegen die
Ende der neunziger Jahre abgetauchten mutmaßlichen rechten
Bombenbauer Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aussahen,
wusste vor Wochenfrist kaum jemand. Fahndungsdruck Fehlanzeige. Noch
sind viele Fragen zum NSU-Terror unbeantwortet, doch eines ist seit
dem Ceska-Fund in Zwickau deutlich geworden: Die bei
fremdenfeindlichen Straftaten oft bemühte Einzeltäter-Theorie, die
These etwa, dass dieses Trio ganz auf sich allein gestellt mehr als
ein Jahrzehnt im Untergrund überstand, ist nicht zu halten. Man muss
wohl eher von mehreren Helfern, Helfershelfern und Mitwissern
ausgehen. Wortklauberei, ob man das nun eine rechtsterroristische
»Struktur« oder ein »Netzwerk« nennen darf, zeugt von dem
verbreiteten Widerwillen, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und
totalitäres Gedankengut als verbindenden Beweggrund für
unterschiedliche Straftaten zu identifizieren. Man kann sich leider
nicht sicher sein, dass jede politisch motivierte Gewalttat in
Deutschland auch als solche in den Ermittlungsakten geführt wird. So
wurden in den Jahren zwischen 1990 und 2009 laut der offiziellen
Statistik 46 Tote durch rechtsextreme Straftaten registriert. Nach
Recherchen von »Tagesspiegel« und »Zeit« starben in diesem Zeitraum
jedoch mindestens 137 Menschen durch rechtsextreme Gewalt. Nach
neuesten Zahlen der gegen Rechtsextremismus aktiven
Amadeu-Antonio-Stiftung, benannt nach dem 1990 von Skinheads in
Eberswalde umgebrachten 28-jährigen Angolaner Amadeu Antonio Kiowa,
wurden im Zeitraum 1990 bis 2011 unter Einbeziehung der NSU-Opfer
sogar 182 Menschen ermordet. Den Beamten der Nürnberger
Sonderkommission mit dem bemerkenswerten Namen »Bosporus« muss man
nun zugutehalten, dass auch sie auf die Idee kamen, nach einem
rechtsextremistischen Hintergrund für die Morde zu suchen. Eine
politisch brisante Frage ist es, warum dieser Impuls nicht zu
verstärkten Ermittlungs- und Fahndungsbemühungen in der rechten Szene
führte. Während der Staat also nach seinen Fehlern forscht, tun wir
gut daran, uns emotional jenen zuzuwenden, die schuldlos ins Unglück
gestürzt wurden – den Mordopfern, die über Jahre missachtet und durch
Verdächtigungen in Misskredit gebracht wurden. Der Vorschlag des
Bundespräsidenten Christian Wulff, ihre Angehörigen im Schloss
Bellevue zu empfangen, ist da nur ein erster Schritt.

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