Wer jetzt im Unglücksreaktor von Fukushima zu
retten versucht, was kaum noch zu retten ist, leistet nahezu
Unvorstellbares. Mindestens 23 Techniker und Helfer waren dabei einer
hohen Strahlenbelastung ausgesetzt. Nach Expertenmeinung werden sie
früher sterben oder in absehbarer Zeit an Krebs erkranken. Sie setzen
ganz bewusst ihr Leben aufs Spiel, um noch größere Gefahren von ihren
Mitmenschen und ihrer Heimat abzuwenden. Es haben sich in Japan sogar
Freiwillige gemeldet, die in Fukushima helfen wollen. Ob das auch in
Deutschland möglich wäre? Am gleichen Tag, an dem die Nachricht der
verstrahlten Arbeiter kommt, gestehen zwei Konstrukteure des
Katastrophenmeilers Fuku-shima-Daiichi schwerwiegende Fehler ein. In
Japan ist in den vergangenen 40 Jahren keiner Kontrollbehörde
aufgefallen, dass das havarierte Kraftwerk keineswegs auf einen
Tsunami vorbereitet war. Und auch die sonst üblichen
Sicherheitssysteme waren offenbar unzureichend. Es seien einfach die
Pläne einer US-Firma kopiert worden. Unfassbar. Naturkatastrophen wie
die vor einer Woche an der japanischen Küste sind schwer
vorherzusagen und überhaupt nicht zu verhindern. Aber die richtigen
Schlüsse müssen doch daraus gezogen werden. Das ist nicht geschehen.
Bisher hat die japanische Bevölkerung ihrem Staat vertraut,
verantwortungsvoll mit einer komplizierten Technik umgehen zu können.
Das war offenbar falsch. Was nutzen Strahlenkommissionen,
Prüfbehörden und Expertenanhörungen, wenn beim Bau von Atomanlagen so
eklatant gegen fundamentale Regeln verstoßen wird. Die Materie ist so
komplex, dass nur absolute Experten erkennen, was wirklich sicher
ist. Nach dem Atomunfall von Tschernobyl hatte es noch geheißen, das
sei eben typisch für die Sowjetkommunisten, die nicht in der Lage
seien, die Gebrauchsanleitung eines Reaktors zu lesen. Selbstkritisch
müssen sich jetzt die Staatslenker in den Industrienationen fragen,
ob die Atomtechnologie wirklich beherrschbar ist. Nach den jüngsten
Ereignissen in Japan denken die wenigsten Länder daran, wirklich
umzusteuern. »Unsere Atomkraft ist sicher«, heißt es
gebetsmühlenartig in Washington, Paris, Moskau oder Berlin. Wie sagte
die Bundeskanzlerin im Bundestag: »Im Zweifel für die Sicherheit«.
Angela Merkel scheut sich aber, ihre Erkenntnis umzusetzen: die
veralteten Meiler sofort abzuschalten. Dunkel muss es deshalb nicht
werden. Deutschland produziert mehr Strom, als es verbraucht. Und
wenn die Mittel für die Energieeinsparung nicht gekürzt, sondern
ausgeweitet werden, wird die Stromlücke immer kleiner. Das Vertrauen
in die Beherrschbarkeit der Atomkraft ist erschüttert. Alle bauen auf
vergleichbare Technik und vergleichbare Kontrollsysteme wie bisher
die Japaner. Das Ergebnis ist bekannt.
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