Professor Reiner Körfer, der Gründungsvater des
NRW-Herzzentrums in Bad Oeynhausen, hatte einen Nebenjob. Wenn er
sein Tagewerk vollbracht und durchschnittlich vier Herzen operiert
hatte, ging er Klinkenputzen. Körfer hielt Vorträge vor allen
Vereinen und Verbänden, die ihn einluden, und warb mit Inbrunst für
die Organspende. Er wollte nicht einsehen, dass ein Herz beerdigt
wird, wenn es doch einem anderen Menschen 10, 20 oder mehr
Lebensjahre schenken konnte. Dabei versicherte Körfer den Menschen
guten Gewissens, dass alles transparent und gerecht ablaufe. Diese
Zeiten sind vorbei, die Transplantationsmedizin in Deutschland hat
ihre Unschuld endgültig verloren. Ihr Ruf hatte bereits Schaden
genommen, als Professor Christoph Broelsch, hochdekorierter
Lebertransplantationsmediziner und Arzt von Bundespräsident Johannes
Rau, 2010 zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Er hatte, so steht es
im rechtskräftigen Urteil, in 30 Fällen die Operation todkranker
Menschen von Zahlungen abhängig gemacht und 158 000 Euro nebenbei
kassiert. Was Broelsch getan hat, verblasst allerdings im Vergleich
zu dem, was an der Uniklinik Göttingen geschehen sein soll. Seit
Wochen kommt das Ausmaß des Transplantationsskandals scheibchenweise
an die Öffentlichkeit, doch das, was am Freitag bekanntwurde, ist
ohne Beispiel: Reihenweise sollen Patientenunterlagen gefälscht
worden sein, soll ein Oberarzt seine Kranken auf dem Papier kränker
gemacht haben, um sie auf der Dringlichkeitsliste nach oben zu
schieben – wodurch andere Patienten, die dringender eine Leber
brauchten, nach unten rutschten. Ärztliche Ethik? Fehlanzeige! Die
Enthüllungen fallen in eine Zeit, in der die Bundesregierung die
Menschen dazu bewegen möchte, einen Organspendeausweis auszufüllen.
Wenn überhaupt, werden Skeptiker nun erheblich schwerer zu überzeugen
sein, und Verschwörungstheoretiker sehen die schlimmsten Vorurteile
bestätigt. Organhandel und illegale Transplantationen – das kannten
wir etwa aus Moldawien, der Türkei und Rumänien. Jetzt gehört
Deutschland auch dazu. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach spricht
von einem Einzelfall, aber so einfach ist die Sache nicht. Selbst die
Uniklinik Göttingen geht inzwischen davon aus, dass der Oberarzt die
Manipulationen nicht alleine durchführen konnte. Und möglicherweise
sind Ärztefunktionäre mitverantwortlich, dass es soweit kommen
konnte: Schon vor Jahren soll der jetzt beschuldigte Mediziner eine
Leber, die für Deutschland bestimmt war, nach Jordanien gebracht
haben – ohne dass ihm die Ärztekammer Konsequenzen zog. Deutschland
hat seinen Organskandal, und zwei Opfergruppen stehen bereits fest:
Die vielen Ärzte, die sich jeden Tag für ihre Patienten krummlegen
(ja, die gibt es noch!) und deren Ruf geschädigt wird, und Todkranke,
die womöglich auf der Warteliste sterben, weil der ein oder andere
jetzt davon absieht, einen Spenderausweis auszufüllen
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261