Kinder mit und ohne Behinderung in einer Klasse,
alle werden nach ihren Befähigungen gefördert, die Starken ziehen
Schwache mit, Hemmschwellen werden abgebaut: So sieht funktionierende
Inklusion aus. Bislang ist sie eine schöne Wunschvorstellung. Doch es
ist gut, dass in Deutschland nicht die Hoffnung stirbt, dass der
Traum Realität wird. Damit der Traum nicht zu einem Albtraum mutiert,
müssen Bedingungen gegeben sein: Spezifische Ausbildung für Lehrer an
Regelschulen, geregelte Finanzierung ohne die gebeutelten Kommunen
noch mehr zu belasten sowie mehr Studienplätze für Sonderpädagogen.
Diese Voraussetzungen sind bislang nicht erfüllt, teilweise aber
zumindest geplant. Jahrelang wurde das Projekt immer wieder vertagt.
Dieser Vorwurf richtet sich nicht nur an eine Regierung oder eine
Region. Nahezu alle politischen Farben und Bundesländer hinken
hinterher. Die UN-Konvention stammt schließlich von 2009 und 70
Prozent der Deutschen stehen laut Umfragen hinter ihr. Während sich
die Lehrer an allgemeinbildenden Schulen fragen, wie sie bei den
aktuellen Klassengrößen auch noch eine gute Ausbildung von Kindern
mit Förderbedarf garantieren sollen, fragen sich die Kommunen, wo sie
das Geld dafür hernehmen sollen. Was in der Theorie ein Erfolgsmodell
ist, wird in der aktuellen Realität zum Projekt mit
Überforderungspotenzial unter Zeitdruck. Dabei braucht das sensible
Thema Fingerspitzengefühl und Muße. Die Situation in den meisten
Schulen ist nicht auf Inklusionsniveau, die Lage in Kommunen oft auch
nicht. Städte und Gemeinden gerade in NRW kämpfen gegen Windmühlen
beim Ausbau der Kita-Plätze für unter Dreijährige von Mitte 2013 an.
Auf denselben Stichtag den Rechtsanspruch für behinderte Kinder auf
eine Regelbeschulung zu datieren, ist unklug. Zwei derartige
Großprojekte zeitgleich provozieren Fehler. Inklusion darf nicht
heißen, dass es irgendwie passt. Es muss 100-prozentig funktionieren.
Andernfalls bleiben zu viele Kinder auf der Strecke. Gemeinsames
Lernen kann nicht – wie bislang angedacht – sukzessive umgesetzt
werden. Erst muss das Konzept komplett stehen, bevor
Rechtsanspruchstermine verkündet werden. Auch wenn von Politikern oft
Klartext verlangt wird, wäre es hier besser gewesen, kein Datum in
die Welt zu setzen. Das hätte den Beteiligten Sicherheit gegeben.
Momentan wird lieber erstmal angekündigt, um dann die Umsetzung unter
Termindruck zu betreiben. Daran ändert die Verschiebung um ein Jahr
nichts. Sie lässt Eltern behinderter Kinder unsicher zurück, die
NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) geglaubt haben und sich
nun fragen, ob die übrigen Versprechen ebenso schnell verschoben
werden. Denn Inklusion ist mehr als ein Rechtsanspruch. Sie muss
gelebt werden. Und das braucht noch viel mehr Zeit.
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Andreas Kolesch
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