Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Wahl in Baden-Württemberg:

Irgendwann geht jede Serie einmal zu Ende. Am
Sonntag könnten es in Baden-Württemberg gleich mehrere sein. Erstmals
seit fast 60 Jahren CDU-Herrschaft stehen die Zeichen auf
Politikwechsel im Ländle. Egal ob Fachmann oder Laie: Wer vor einem
Jahr gesagt hätte, dass Schwarz-Gelb im März 2011 keine Mehrheit in
Baden-Württemberg haben werde und Grünen-Fraktionschef Winfried
Kretschmann (62) ernsthaft als neuer Ministerpräsident in Frage
kommen könnte, wäre wohl für verrückt erklärt worden. Wie undenkbar
dieses Szenario erschien, zeigt, dass der Südwestrundfunk den
Grünen-Chef vor ein paar Wochen gar nicht erst zum TV-Duell
eingeladen hatte, sondern nur Stefan Mappus (CDU) und Nils Schmid
(SPD). Bricht aber die Hochburg der CDU weg und stürzt gleichzeitig
in Stefan Mappus einer der mächtigsten CDU-Ministerpräsidenten, käme
das einer Revolution in Baden-Württemberg gleich – verbunden mit
einem politischen Erdbeben bis nach Berlin. Man kann Mappus mögen
oder nicht: Der konservative Schwabe hat es im Wahlkampf knüppeldick
gekriegt. Erst wurde er wegen des schwarz-gelben Stolperstarts in
Berlin in ein Umfragetief gerissen. Dann folgte das Desaster rund um
Stuttgart 21. Als die CDU schließlich auch diesen Nackenschlag dank
Heiner Geißlers wundersamer Arbeit verkraftet hatte, folgte der
Rücktritt Karl-Theodor zu Guttenbergs mit acht abgesagten
Wahlkampfveranstaltungen, die allesamt restlos ausverkauft waren. Und
zum Schluss noch die Katastrophe in Japan – mit all ihren politischen
Folgen für die CDU, ihre Atompolitik und Mappus selbst, der bis zu
dem Beben zu den größten Befürwortern der Kernenergie zählte. Eine
Landesregierung steht vor dem Sturz, obwohl das Land glänzend
dasteht: Baden-Württemberg hat eine Arbeitslosenquote von 4,5
Prozent. Das ist bundesweit Spitze. 2008 und 2009 mussten keine neuen
Kredite aufgenommen werden. Das Land pumpt jährlich Milliardensummen
in den Länderfinanzausgleich, ohne je einen müden Euro erhalten zu
haben. Baden-Württemberg hat eine Jugendarbeitslosigkeit von unter
drei Prozent, die niedrigste in ganz Europa. Die Liste ließe sich
fortsetzen. Glaubt man den Umfragen, heißt der neue Ministerpräsident
einer grün-roten Landesregierung Winfried Kretschmann. Die FDP wird
die Fünf-Prozent-Hürde nehmen, weil sie von enttäuschten CDU-Wählern
profitiert. Ob die Linken den Einzug ins Parlament packen, ist noch
offen. Falls ja, könnte ihnen die Rolle des Königsmachers zufallen.
Reicht es für Grün-Rot nicht, bliebe für Mappus ein schwarz-grünes
Bündnis oder die Große Koalition. Letztere Optionen wären zwar nicht
gut für die CDU, Mappus bliebe aber im Amt. Baden-Württemberg steht
vor einer Sensation, der Amtsinhaber vor dem Ende und Angela Merkel
voraussichtlich vor den schwersten Wochen ihrer Kanzlerschaft.

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