WAZ: Auch Nazi-Morde verjähren nicht – Kommentar von Dietmar Seher

Siert B., 92, darf nach Hause. Die Richterin hat den
Prozess gegen den früheren SS-Mann, der des Mordes an einem
Widerstandskämpfer 1944 angeklagt war, platzen lassen. Der Angeklagte
habe geschossen. Aber ob die Tat Mordmerkmale wie Heimtücke habe, das
sei nach so langer Zeit nicht mehr sicher zu sagen. Zeugen lebten ja
nicht mehr.

Es ist ein widersprüchliches Urteil und ein fragwürdiges Argument.
Soll die Justiz aufhören, NS-Verbrechen zu verfolgen, weil Ankläger
aufgrund des Zeitabstands Schuld nur mit Indizien nachweisen können?
Das darf sie nicht. Juristisch: Weil Mord nicht verjährt. Moralisch:
Weil deutsche Richter auch 2014 die Pflicht haben, diese Taten zu
ahnden.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt jetzt einen 88-Jährigen, am
Massaker von Oradour mitgewirkt zu haben. Es wäre tragisch, wenn am
Ende auch hier der Schlusssatz steht: Es ist zu lange her.

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