NRZ: Vertrag steht, aber das Warten bleibt – von MANFRED LACHNIET

War das eine schwere Geburt! Viereinhalb Monate nach
der Bundestagswahl steht endlich der Groko-Vertrag. Mehr aber noch
nicht. Denn die vielen Papiere können gleich ins Altpapier, wenn eine
Mehrheit der 443000 SPD-Mitglieder „nein“ dazu sagt. Wir wären dann
in einer ähnlichen Situation wie Mitte November, als ein einziger,
nämlich FDP-Chef Christian Lindner, die zum Greifen nahe
„Jamaika“-Regierung platzen ließ. Es ist also unredlich, wenn man
jetzt den Sozialdemokraten Verzögerung oder undemokratisches
Verhalten vorwirft. Inhaltlich bietet der GroKo-Vertrag viel Gutes.
Fast alle sollen ein wenig mehr erhalten – zum Glück ist ja gerade
genug Geld vorhanden. Gut und überfällig ist, dass der Staat mehr in
Bildung und Digitalisierung investieren will. Das Thema Pflege ist
ebenfalls als dringend erkannt worden, zusätzliche Milliarden Euro
stehen bereit. Genauso für die Infrastruktur. Beim Thema Gesundheit
sollen die gesetzlich Versicherten bald ein bisschen besser gestellt
werden. Unterm Strich also alles bestens? Nein. Denn die
GroKo-Verhandler versprühen weder Optimismus noch Aufbruch in die
Zukunft. Vielmehr sieht man den drei Parteichefs an, dass sie sich
nur notgedrungen zusammengerauft haben: Die SPD hätte gern noch mehr
Gerechtigkeit gehabt, die CSU mehr Strenge und Sicherheit. Allein die
CDU scheint sich damit zu begnügen, dass sie die Kanzlerin stellen
kann. Man darf gespannt sein, ob da die christdemokratische Basis
(die gibt es ja auch!) nicht irgendwann aufmuckt. Dann geht–s gegen
Merkel. Die schwierigste Aufgabe hat indes die SPD. Tatsächlich haben
Schulz und Nahles eine Menge erreicht; sogar sehr viel für eine
20-Prozent-Partei. Aber können sie damit ihre Mitglieder überzeugen?
Das wird nicht leicht, denn im Spiel sind viel Unbehagen und Frust.
Zumal Martin Schulz ein Glaubwürdigkeitsproblem hat: Erst wollte er
niemals Minister unter Merkel werden, nun ist er bereits als
Außenminister gesetzt. Solch ein Salto kommt nicht gut an. In drei
Wochen werden wir wissen, ob die neue schwarz-rote Regierung arbeiten
darf. Stärkste Oppositionspartei im Bundestag bleibt dann die AfD.
Falls die SPD-Mitglieder allerdings „nein“ sagen, würde das die
Parteiführung hinwegfegen; inklusive Frau Nahles. Auch ein Ergebnis
55:45 pro GroKo hätte verheerend Auswirkungen. Kommt es zum „Nein“,
ist eine Zeitlang eine Minderheitsregierung denkbar. Gefolgt von
Neuwahlen – mit ungewissem Ausgang, auch für Merkel. – Das hatte wohl
kein Wähler im Sinn, der am 24. September seine Kreuzchen gesetzt
hatte.

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