Wolfgang Neskovic: Europarechtliche Pflichten müssen eingehalten werden

„Das deutsche System der Sicherungsverwahrung ist
menschenrechtsfeindlich. Es widerspricht der Europäischen
Menschenrechtskonvention. Die Bundesrepublik Deutschland ist jedoch
nicht bereit, das zu akzeptieren und ihren europarechtlichen
Pflichten nachzukommen. Der Abschluss von Verträgen hat keinen Sinn,
wenn ein Vertragspartner nicht bereit ist, sich daran zu halten“,
sagt Wolfgang Neskovic, Justiziar der Fraktion DIE LINKE und Richter
am Bundesgerichtshof a.D., zu den heutigen Urteilen des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Wolfgang Neskovic weiter:

„Wenn Deutschland bereit gewesen wäre, seine europarechtlichen
Pflichten zu erfüllen, hätte es schon nach der ersten Entscheidung
des EGMR im Fall –M. gegen Deutschland– unverzüglich ein Gesetz
erlassen müssen, das die ursprüngliche Rechtslage wiederherstellt.
Dazu hätte die Höchstfrist von zehn Jahren Sicherungsverwahrung
wieder eingeführt werden müssen. Stattdessen hat die Bundesregierung
mit mehreren Gesetzen versucht, diesen Auftrag zu umgehen und die
Verantwortung auf die Gerichte zu verlagern.

Solange die Bundesrepublik Deutschland nicht bereit ist, ihren
völkerrechtlichen Pflichten nachzukommen, wird sie immer wieder
entsprechende Zurechtweisungen durch den EGMR hinnehmen müssen. Es
schadet dem Ansehen Deutschlands, wenn es europarechtliche Pflichten
konsequent ignoriert und sich stattdessen dem Ruf der Stammtische
beugt.

Aus einer weiteren Entscheidung des EGMR (Fall –H.–) lässt sich
schon jetzt absehen, dass auch das Therapieunterbringungsgesetz
(ThUG) mit den europarechtlichen Pflichten nicht zu vereinbaren ist.
Dieses Gesetz ist erkennbar darauf ausgerichtet, die Rechtsprechung
des EGMR zu unterlaufen. Die heutige Entscheidung im Fall –H.– macht
jedoch deutlich, dass diese europarechtliche Gehorsamsverweigerung
erfolglos bleiben wird. Das Gericht sah für den hirngeschädigten –H.–
den nach der Europäischen Menschenrechtskonvention gegebenen
Haftgrund der –psychischen Krankheit– nicht als erfüllt an. Mit
diesem Haftgrund lasse sich bei einer bloßen Persönlichkeitsstörung
eine nachträgliche Unterbringung zu Präventionszwecken nicht
rechtfertigen. Das neue Therapieunterbringungsgesetz von Schwarz-Gelb
ist jedoch genau darauf ausgerichtet, auch in solchen Fällen eine
Freiheitsentziehung zu ermöglichen. Das ist nach dieser Entscheidung
des EGMR jedoch europarechtlich nicht möglich.“

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Hendrik Thalheim
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